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21. April 2010 (Pressemitteilung)

Das Unsichtbare sichtbar machen:

Ein neues Arbeitspferd für das größte optische Teleskop der Welt


Mit großer Begeisterung vermelden heute die deutschen, amerikanischen und italienischen Partner im Large-Binocular-Telescope-Projekt (LBT) die Inbetriebnahme der ersten von zwei innovativen Kameras/Spektrographen. Nach mehr als einem Jahrzehnt geprägt durch Entwicklung, Bau und Tests steht das LUCIFER 1 genannte Instrument nun den Astronomen für wissenschaftliche Beobachtungen am Teleskop auf dem Mount Graham in Arizona zur Verfügung. LUCIFER 1 ist ein hervorragendes Werkzeug, um spektakuläre Einblicke in das Universum zu gewinnen – von unserer Milchstraße bis hin zu den am weitesten entfernten Galaxien. Das Instrument wurde von einem Konsortium deutscher Institute gebaut und sein Zwilling soll Anfang 2011 am Teleskop ebenfalls zum Einsatz kommen.


Dank des innovativen Designs von LUCIFER können z.B. Sternentstehungsregionen, die sich normalerweise in dichten Staubwolken verbergen, in bemerkenswerter Detailschärfe beobachtet werden. Das Instrument bietet zudem eine einmalige Flexibilität durch besondere technische Lösungen. Ein Beispiel ist der einzigartige Roboterarm, der Masken für die Multi-Objektiv-Spektroskopie (MOS) selbst bei den extrem kalten Betriebstemperaturen austauschen kann.

Grenzen überwinden

LUCIFER und sein Zwilling sind in den Brennpunkten der beiden gigantischen 8,4-m-Spiegel des LBT montiert. Um Beobachtungen im Nah-Infrarot (NIR) durchführen zu können, ist LUCIFER auf –213 °C gekühlt. Beobachtungen im Infrarotlicht sind unverzichtbar, um die Entstehung von Planeten und Sternen in unserer Galaxie zu erforschen oder den Geheimnissen der fernsten und jüngsten Galaxien auf die Spur zu kommen.

LUCIFER ist ein bemerkenswertes Mehrzweckinstrument. Es kombiniert ein großes Gesichtsfeld mit hoher Auflösung und bietet drei unterschiedliche Kameras für Bilder und Spektren in verschiedenen Auflösungen, je nach den Beobachtungsanforderungen. Neben seinen herausragenden Eigenschaften für die Aufnahme von Bildern mit gegenwärtig bis zu 18 hochqualitativen Filtern erlaubt LUCIFER die simultane Spektroskopie von etwa zwei Dutzend Objekten im Infraroten durch lasergefertigte Schlitzmasken. Für allerhöchste Flexibilität können diese Masken selbst bei der extrem niedrigen Betriebstemperatur gewechselt werden. Dies geschieht mittels eines hoch entwickelten robotischen Maskenwechslers, der die individuellen Masken aus einem Magazin entnimmt und mit absoluter Präzision in der Brennebene positioniert.

»In Kombination mit der großen Lichtstärke des LBT sind die Astronomen nun in der Lage, die spektralen Fingerabdrücke der schwächsten und am weitesten entfernten Objekte im Kosmos zu sammeln«, sagt Richard Green, der Direktor des LBT. »Nach der Fertigstellung der adaptiven Sekundärspiegel des LBT zur Korrektur atmosphärischer Turbulenzen wird LUCIFER seine volle Leistungsfähigkeit zeigen, indem es Bilder liefern wird, wie man sie bisher nur von weltraumgebundenen Observatorien her kennt.«

Geburtsorte der Sterne

»Bereits die ersten LUCIFER-Beobachtungen von Sternentstehungsgebieten geben uns einen Eindruck vom enormen Potential des neuen Instruments«, sagt Thomas Henning, der Vorsitzende der deutschen LBT-Partner.

Abb.1: Der Sternhaufen S255 in 7800 Lichtjahren Entfernung (von Arjan Bik). Kombination dreier Einzelaufnahmen mit drei unterschiedlichen Infrarotfiltern. Das Seeing während der Beobachtungen betrug 0,6 Bogensekunden. Die Größe des Bildfeldes beträgt 5,7 x 4,8 Bogenminuten.

Abb.2 und 3:Diese beiden Falschfarben- aufnahmen zeigen die Starburst-Galaxie NGC 1569 in 6.2 Mio Lichtjahren Entfernung. Das obere Bild, welches mit drei Nahinfrarotfiltern größerer Bandbreite aufgenommen wurde, verdeutlicht das enorme Auflösungsvermögen von LUCIFER.

Abb.4: MOS-Spektren ferner Galaxien mit Sternentstehung: (von Jaron Kurk) Bei Ausnutzung des gesamten Detektors können mit LUCIFER bis zu 20 Objekte gleichzeitig aufgenommen werden.

Bild 1 (von Arjan Bik) ist der Schnappschuss einer Geburtsstätte von Sternen in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße: eine massereiche Sternentstehungsregion in der gigantischen Molekülwolke S255 in etwa 8000 Lichtjahren Entfernung von der Erde (1 Lichtjahr entspricht etwa 10 Billionen Kilometer). Solche Wolken sind im sichtbaren Licht normalerweise nicht durchsichtig. Das infrarote Licht kann hingegen den Staub durchdringen, so dass das LUCIFER-Bild den Haufen neugeborener Sterne und seine komplexe Umgebung in ganzer Pracht zeigt.

Bild 2 und 3 (von Anna Pasquali) zeigen die schwache irreguläre Zwerggalaxie NGC 1569 in etwa 6.2 Millionen Lichtjahren Entfernung. Erkennbar sind verschiedene große Sternentstehungsgebiete mit einer sporadischen Sterngeburtenrate, die mehr als hundertfach so schnell abläuft wie in unserer Galaxie. Im sichtbaren Licht zeigt der Kern der Galaxie lediglich drei Sternhaufen, jeder mit etwa einer Million Sterne. Mit LUCIFER ist es möglich, den Staub zu durchdringen und viel mehr kompakte Sternhaufen zu entdecken.

Bild 4 (von Jaron Kurk) ist ein Ausschnitt aus einem mit LUCIFER aufgenommenen Multi-Objekt-Spektrum. Es zeigt die Spuren von heißem Gas, aufgeheizt durch junge Sterne in unvorstellbaren Entfernungen von Milliarden von Lichtjahren. Ein Spektrum ist die Aufspaltung des Lichts in seine verschiedenen Wellenlängen (Farben). Bei bestimmten Wellenlängen können leuchtende Linien in Abhängigkeit von der chemischen Zusammensetzung und den physikalischen Bedingungen eines Objekts gefunden werden. Dies sind gewissermaßen Fingerabdrücke dessen, was sich in Sternen und Galaxien abspielt. Für weit entfernte Galaxien findet man die interessantesten Linien im Nah-Infrarot, wo Beobachtungen bislang auf wenige Objekte beschränkt waren. Mit LUCIFER und dem LBT können dank seiner Multi-Objekt-Fähigkeit nun große Stichproben untersucht werden.

Ein einzigartiger Erfolg für die deutschen Institute

Die Instrumente wurden durch ein Konsortium von fünf deutschen Instituten gebaut (unter der Leitung des Zentrums für Astronomie Heidelberg (Landessternwarte Heidelberg, LSW) in Zusammenarbeit mit dem Max Planck Institut für Astronomie in Heidelberg (MPIA), dem Max Planck Institut für Extraterrestrische Physik in Garching (MPE), dem Astronomischen Institut der Ruhr-Universität in Bochum (AIRUB), sowie der Hochschule Mannheim).

Walter Seifert (LSW), Nancy Ageorges (MPE) and Marcus Jütte (AIRUB), waren verantwortlich für die erfolgreiche Inbetriebnahme des Instruments und verbrachten mehr als ein halbes Jahr am LBT für verschiedene Tests und Beobachtungen, um die Kombination aus Teleskop und Instrument effizient zum Arbeiten zu bringen. Holger Mandel, der verantwortliche Wissenschaftler für LUCIFER sagt: »Von Beginn an gab es eine große gemeinsame Begeisterung aufgrund der Aussicht, mit dem Instrument Wissenschaft auf Weltniveau machen zu können. Nun sprechen die Bilder für sich selbst.«

Abb.5: LUCIFER in der Montagehalle des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg (Sommer 2008).

Abb.6: Die Installation und Inbetriebnahme von LUCIFER wurde am LBT hauptsächlich von folgendem Team durchgeführt (von links nach rechts): Volker Knierim (AIRUB), Nancy Ageorges (MPE), Werner Laun (MPIA), Michael Lehmitz (MPIA), Peter Buschkamp (MPE), Kai Polsterer (AIRUB), Marcus Jütte (AIRUB), Walter Seifert (LSW).



Hinweis:

Weitere Details zu LUCIFER (bzw. LUCI, wie das Instrument seit 2011 offiziell heißt) finden Sie auf dieser Homepage unter LBT-Instrumentierung



Das Large Binocular Telescope (LBT) ist eine Kollaboration folgender Partner: Italian astronomical community (National Institute of Astrophysics – INAF), University of Arizona, Arizona State University, Northern Arizona University, LBT-Beteiligungsgesellschaft in Deutschland (Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg, Astrophysikalisches Institut in Potsdam, Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in München, und Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn), Ohio State University and Research Corporation (Ohio State University, University of Notre Dame, University of Minnesota, and University of Virginia).




Anhang:
Ausführliche Beschreibungen zu den Abbildungen 1-4:


Abb. 1. Der Sternhaufen S255: (von Arjan Bik)
Diese Aufnahme zeigt eine »Kinderstube« von Sternen in unserer Milchstraße, ein massereiches Stern- entstehungsgebiet innerhalb der riesigen Molekülwolke S255 in einer Erdentfernung von ca. 8000 Lichtjahren. Solche Wolken sind normalerweise für sichtbares Licht undurchsichtig. Infrarotes Licht kann den Staub jedoch durchdringen. Damit ist LUCIFER in der Lage, den Haufen neugeborener Sterne im Wolkeninneren und seine komplexe Umgebung zu enthüllen. Außer dem hellen, zentralen Sternhaufen sind noch mehrere andere Sternentstehungsgebiete gut zu erkennen.

Die ältesten Sterne in diesem Gebiet sind die hellen, blauen Sterne in der östlichen und westlichen Bildecke. Diese erzeugten durch Sternwinde große Blasen ionisierten Wasserstoffs in ihrer kosmischen Nachbarschaft, verdichteten dadurch die umgebende Molekülwolke und regten damit die Sternentstehung an – insbesondere in dem hellen Sternhaufen in der Bildmitte. Dieser Haufen enthält neben zahlreichen jungen, massereichen Sternen auch viele masseärmere Sterne. Einige der jungen Sterne sind der Motor für heftige Ausflüsse (sichtbar in grün), ein Anzeichen dafür, dass diese Sterne sich noch in der Entstehungsphase befinden. Südlich des hellen Sternhaufens ist dagegen fast nichts zu erkennen, was darauf hindeutet, dass die sehr jungen Objekte in diesem Gebiet noch tief in der Molekülwolke verborgen liegen. Erst in ca. einer Million Jahre wäre dieses Gebiet für LUCIFER-Beobachtungen zugänglich.

Technische Daten:
Kombination dreier Einzelaufnahmen mit drei unterschiedlichen Infrarotfiltern. Blau: H-Band (7 Minuten), Grün: H2 (50 Minuten), Rot: K-Band (12 Minuten). Das durchschnittliche Seeing während der Beobachtungen betrug 0,6 Bogensekunden. Die Größe des Bildfeldes beträgt 5,7 x 4,8 Bogenminuten. Dies entspricht in einer Entfernung von 7800 Lichtjahren einer Fläche von 13 x 11 Lichtjahren.

Abb. 2 und 3. Die Starburst-Galaxie NGC 1569: (von Anna Pasquali)
Diese beiden Falschfarbenaufnahmen zeigen die Starburst-Galaxie NGC 1569, deren sporadische Sternenstehungsrate etwa dem Hundertfachen unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, entspricht. Das obere Bild (Abb.2), das mit drei Nahinfrarotfiltern größerer Bandbreite aufgenommen wurde, verdeutlicht das enorme Auflösungsvermögen von LUCIFER und zeigt feinste Strukturen selbst in einer Objektentfernung von 6,2 Millionen Lichtjahren. In einer normalen Aufnahme im sichtbaren Spektralbereich sind nur drei große Sternhaufen sichtbar. Unter Verwendung von LUCIFERs hochauflösender Kamera in Kombination mit einem speziellen Filtersatz ist es möglich, den kosmischen Staub zu durchdringen und zahlreiche weitere junge Sternentstehungsgebiete sichtbar zu machen (in rot), wobei auch ein Supernovaüberrest im hellen blauen Gebiet zu finden ist (Abb.3). Dieses Bild demonstriert eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit des neuen Instruments bei Nahinfrarotbeobachtungen in Verbindung mit einem der größten Teleskope der Welt. Dies gilt insbesondere für den Nachweis von diffusem, lichtschwachem Gas als Indikator für stellare »Kinderstuben« in nahen Galaxien.

Technische Daten:
Beide Bilder sind Kombinationen von drei Einzelaufnahmen in drei verschiedenen Infrarotfiltern. Abb.2: K-Band (38 Minuten), FeII+Kontinuum (60 Minuten) und Brϒ+Kontinuum (36 Minuten). Abb.3: Blau: [FeII]-Linie bei 1,64 Mikrometer (60 Minuten), Grün: K-Band (38 Minuten), Rot: Brϒ bei 2,16 Mikrometer (36 Minuten).
Das durchschnittliche Seeing während der Beobachtungen betrug 0,6 Bogensekunden. Die Größe des Bildfeldes beträgt im oberen Bild (2a) etwa 3 x 1,5 Bogenminuten. Dies entspricht bei einer Entfernung von ca. 6,2 Millionen Lichtjahren einer Fläche von ca. 5500 x 2600 Lichtjahren.

Abb.4. MOS-Spektren ferner Galaxien mit Sternentstehung: (von Jaron Kurk)
MOS-Spektrum im K-Band des Nah-Infrarot. Für sieben ausgewählte Spektren einer MOS-Maske ist der Wellenlängenbereich zwischen 2,14 und 2,29 Mikrometer gezeigt. Das komplette Bildfeld enthält 15 Einzelspalte mit einer typischen Spaltbreite von einer Bogensekunde und einer Länge von zehn Bogensekunden. Alle Spektren wurden auf eine gemeinsame Wellenlängenskala kalibriert. Das Bild ist aus 42 Einzelaufnahmen von je fünf Minuten Belichtungsdauer zusammengesetzt. Die vertikalen Linien entstehen durch Restrauschen, das bei der Bildverarbeitung nach Subtraktion der Moleküllinien aus der Erdatmosphäre übrig bleibt. Zusätzlich sind charakteristische »Fingerabdrücke« von Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel aus weit entfernten Galaxien zu erkennen, die auf Sternentstehungsprozesse hinweisen. Die betreffenden Elemente und die Rotverschiebung der jeweiligen Galaxien sind in der Abbildung markiert. Diese Emissionslinien sind extrem schwach und können erst nach einer Belichtungszeit von mehreren Stunden in Verbindung mit einem Großteleskop wie dem LBT nachgewiesen werden. Bei Ausnutzung des gesamten Detektors können mit LUCIFER bis zu 20 Objekte gleichzeitig aufgenommen werden.


Kontakt:

Dr. Holger Mandel
Landessternwarte Heidelberg
E-Mail: h.mandel@lsw.uni-heidelberg.de
Tel: (0|+49) 6221 – 541 734

Dr. Walter Seifert
Landessternwarte Heidelberg
E-Mail: wseifert@lsw.uni-heidelberg.de
Tel: (0|+49) 6221 – 541 732

Dr. Klaus Jäger
Max-Planck-Institut für Astronomie Heidelberg
E-Mail: jaeger@mpia.de
Tel: (0|+49) 6221 – 528 379


Letzte Änderung / Last update: 11.06.2012/K.Jäger