Interferometrie mit MIDI an den VLT-Teleskopen der ESO

Erste interferometrische Beobachtung im mittleren Infraroten mit zwei Teleskopen der 8-Meter-Klasse[1]

19. Dezember 2002
Fußnoten

Das Ereignis
Am 15. Dezember feierte ein Team von Astronomen und Ingenieuren aus Deutschland, Holland, Frankreich und der Europäischen Südsternwarte ESO [2] für ihr im Infraroten bei Wellenlängen um 0,01 mm empfindliches Instrument MIDI die erste erfolgreiche Vereinigung der Strahlengänge aus zwei der vier 8.2-Meter-Teleskope des Observatoriums auf dem Cerro Paranal in den chilenischen Anden. Für diese interferometrische Beobachtung, unter Fachleuten »fringes« genannt, musste das Licht von den beiden 102 Meter voneinander entfernten Teleskopen in einem zentralen Labor in der Weise zusammengeführt werden, dass die Länge der beiden Lichtwege sich um nicht mehr als 0.001 mm unterscheidet. Dieses Ereignis stellt die ersten »interferometrischen« Beobachtungen unter Ausnutzung der vollen Fläche der neuen Riesenteleskope dar. Damit erhalten sie, zusätzlich zu ihrer überragenden Lichtstärke, ein zehnfach erhöhtes Auflösungsvermögen, das dem Auflösungsvermögen eines Einzelteleskops von 100 Metern Öffnung entspricht. Ein solches Einzelteleskop wird es nicht vor Ende des nächsten Jahrzehnts geben.




MIDI im VLTI-Labor
Das Instrument MIDI wurde, unter Führung des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg (MPIA), von einem europäischen Konsortium astronomischer Institute [1] entwickelt. Heute steht es an seinem Bestimmungsort im unterirdischen interferometrischen Labor des Observatoriums der ESO auf dem Paranal (Abb. 3). Als erstes von zwei Instrumenten wird es dort während der nächsten zehn Jahre interferometrische Beobachtungen mit allen vier 8-Meter-Teleskopen durchführen. In einem früheren, von ESO gebauten Experiment war die Funktionsfähigkeit der komplexen optischen Infrastruktur bereits getestet worden. Das Instrument wiegt etwa 1,5 Tonnen und ist auf einem 1,5 m x 2,1 m großen optischen Präzisionstisch gelagert. Der große im Hintergrund sichtbare Würfel ist der Kryostat, eine Vakuumkammer, worin der Detektor und die benachbarten optischen Komponenten auf eine Temperatur von –270 bis – 240 °C (4 K bis 35 K) gekühlt werden. Die Kühlung ist bei Infrarotbeobachtungen erforderlich, um die Eigenstrahlung der verwendeten Materialien zu unterdrücken. Trotz seiner beachtlichen Größe, musste MIDI relativ zu den von den beiden Teleskopen kommenden Lichtstrahlen mit einer Genauigkeit von mindestens 0.1 Millimetern positioniert und von mindestens 0.01 Grad ausgerichtet werden. Die nötige Elektronik wurde in einem benachbarten Raum untergebracht, um thermische und mechanische Störungen zu minimieren.



Der Bau von Instrumenten wie MIDI erfordert die Bündelung der Expertise aus ganz unterschiedlichen Instituten: Entwicklung von Messgeräten für den infraroten Spektralbereich, die im Vakuum und bei extrem niedrigen Temperaturen betrieben werden (MPIA), Entwurf und Bau optischer Elemente, die bei extrem niedrigen Temperaturen arbeiten (ASTRON in Dwingeloo), Entwurf und Realisierung der zum Betrieb des Geräts erforderlichen komplexen Coputerprogramme (NEVEC in Leiden und MPIA), und andere hochspezialisierte Beiträge vom Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik in Freiburg, vom Observatoire de Paris-Meudon, vom Observatoire de la Côte d'Azur in Nizza, vom Astronomischen Institut der Universität Amsterdam, vom Kapteyn-Institut, Groningen und von der Thüringer Landessternwarte in Tautenburg. Alle diese Beiträge können nur in enger Zusammenarbeit mit den Spezialisten bei ESO entstehen, die das Observatorium mit all seiner komplexen Infrastruktur aufgebaut haben und betreiben.

MIDI – von den Anfängen bis zu den »First fringes«
Das Projekt startete vor fünf Jahren, als das MPIA 1997 der ESO den Bau eines Instruments vorschlug, das zu den interferometrischen Plänen der ESO passte und, bei Einhaltung der vorgesehenen Zeitpläne, das ersten seiner Art weltweit sein würde. Bald danach schlossen sich die Niederländische Wissenschaftsorganisation NOVA mit ASTRON, die Universitätsinstitute in Amsterdam und Groningen, und NEVEC, sowie die anderen Partnerinstitute in Frankreich und Deutschland an. Unter der Leitung von Christoph Leinert und Uwe Graser vom MPIA arbeiteten mehr als zwei Dutzend Ingenieure, Astronomen und Studenten dreieinhalb Jahre lang intensiv an Planung, Entwurf und Bau aller Teile, bis der Zusammenbau des Geräts im Max-Planck-Institut für Astronomie beginnen konnte. Es folgte hier eine ausführliche Testphase, während gleichzeitig auf dem Paranal die komplexe Infrastruktur für das erste interferometrische Instrument vorbereitet wurde.(ESO PR 06/01)

Nach einer abschließenden Prüfung und Abnahme durch ESO wurde das Instrument im September dieses Jahres zum Paranal verfrachtet. Die 32 großen hölzernen Boxen mit einem Gewicht von insgesamt 8 Tonnen trafen im November gerade rechtzeitig für die Montage des Instruments im Interferometrielabor auf dem Berg ein. Anfang Dezember wurde MIDI getestet, wobei das Sternlicht von zwei kleinen Test-Teleskopen mit je 40 cm Öffnung in das Gerät eingespeist wurde.

Die gesamten Kosten für den Bau des Geräts betragen 6 Millionen Euro, davon wurden für 1.8 Millionen Euro Ausrüstungsteile, Materialien und optische Komponenten gekauft, der Rest floss in die Gehälter der Beteiligten.

Der erste Lohn für all diese Mühen kam am 14./15. Dezember. In der ersten Hälfte der Nacht wurden zwei 102 Meter von einander entfernte 8-Meter-Teleskope für die interferometrischen Beobachtungen eingestellt und beide auf den Stern Epsilon Carinae gerichtet. Dann wurde das Licht von beiden Teleskopen in das unterirdische Interferometrielabor geleitet. Präzisionsspiegel wurden bewegt, um die Teile des System, die zum ersten Mal alle zusammen arbeiteten, in den empfindlichen Zustand zu bringen, der für Interferometrie notwendig ist: Die Lichtwege vom Stern über die beiden Teleskope bis ins Instrument müssen exakt gleich sein. Als dann das für interferometrische Messungen charakteristische Muster (die »Fringes«) auf den Bildschirmen der Computer zur Steuerung von MIDI sichtbar wurde, war klar: Die hohe Qualität aller 32 optischen Komponenten, die das Sternlicht durch dieses komplexe Mess-System bis zum Detektor führen, und die Richtigkeit des Messkonzepts waren erwiesen.

Technische Eigenschaften:
Beobachtungen bei 0.01 mm (oder 10 Mikrometern) Wellenlänge sind deshalb schwierig, weil in diesem Wellenlängenbereich alle Gegenstände unserer Umgebung thermische Strahlung abgeben. Wären unsere Augen für diese Strahlung empfindlich, so würde alles um uns herum, einschließlich des Nachthimmels, hell leuchten und kein Stern wäre für das bloße Auge sichtbar. Empfindliche abbildende Detektoren für diesen Spektralbereich wurden vor wenigen Jahren erhältlich, aber sie müssen bei etwa -265°C (4 K – 10 K) betrieben werden. Dies ist erforderlich, damit sie nicht durch ihre eigene thermische Strahlung geblendet werden. Technisch realisiert wird es durch einen geschlossenen Kreislauf, der außerhalb des Instruments mit Heliumgas unter hohem Druck und bei Zimmertemperatur arbeitet und die erforderlichen tiefen Temperaturen in seinen »kalten Fingern« im Inneren des Instruments erreicht. Allerdings verursachen die bewegten Kolben dieser Vorrichtung Schwingungen, deren Amplitude, um die Messungen nicht zu stören, mit Hilfe spezieller dämpfender Materialien und Verbindungsteile unterhalb von 0,001 mm gehalten werden mussten. Auch eine geringe Verbiegung der gekühlten Teile während des Abkühlens würde die Messungen vereiteln. Dies konnte dadurch vermieden werden, dass alle metallischen Teile der optischen Anordnung in der Umgebung des Detektors aus einem einzigen, speziell ausgewählten Aluminiumblock hergestellt wurden.

Trotz aller dieser Maßnahmen fällt zusammen mit dem Sternlicht der starke thermische Strahlungsfluss der mehr als 20 Spiegel der VLTI-Anordnung und der Erdatmosphäre auf den Detektor. Er lässt sich dadurch eliminieren, dass das Auslesen der Messdaten etwa 1000mal pro Sekunde erfolgt, und zwar strikt synchron zu einer Modulation des gesamten Messprozesses. Das erfordert eine leistungsstarke, hochspezialisierte aber flexible Elektronik, die im Laufe der Jahre am MPIA entwickelt wurde. Nach dem erfolgreichen Überwinden dieser und vieler anderer technischer Hürden, ist MIDI nun bereit für die interferometrische Analyse astronomischer Objekte im Spektralbereich der thermischen Strahlung: Damit ist der Weg frei für eine Vielfalt neuer, vielversprechender Beobachtungen.

Interferometrie:
Interferometrie ist eine Technik zur Erhöhung der Abbildungsschärfe, die in der Radioastronomie bereits extensiv eingesetzt wurde. Sie beruht auf dem allgemeinen physikalischen Gesetz, wonach, je größer die Öffnung eines Teleskops ist, desto schärfere Abbildungen entstehen. (Der Blick durch einen auch einäugigen Feldstecher liefert bereits schärfere Bilder, als das bloße Auge.) Die Kombination der Lichtstrahlen aus zwei 100 Meter von einander entfernten Teleskopen (wie auf dem Paranal verwirklicht) liefert die selbe Bildschärfe, wie der Einsatz eines Teleskops mit 100 Metern Öffnung (das es erst in vielen Jahren geben wird). Aber dies gilt nur, wenn das optische System, welches das Licht von den beiden Teleskopen zur Überlagerung bringt, so genau konstruiert ist, dass der Weg von den Teleskopen zum Treffpunkt der beiden Strahlen (dessen Länge einschließlich der nötigen Richtungsänderungen etwa 200 Meter beträgt) sich nicht um mehr als einen Bruchteil der Wellenlänge des beobachteten Lichtes (also höchstens um 0.001 mm) unterscheidet. Gleichzeitig muss das durch die Turbulenz der Atmosphäre verursachte Wabern des Sternbildes mit der selben hohen Genauigkeit korrigiert werden.

Diese höchst anspruchsvollen technischen Schwierigkeiten sind im Laufe der letzten fünf bis zehn Jahre gelöst worden, so dass heute die Sterne mit erheblich größerer Schärfe abgebildet werden können. Das interferometrische Messinstrument MIDI, das nun auf dem Paranal in Betrieb geht, erreicht eine Auflösung, mit der sich von Heidelberg aus auf der Kuppel des Reichtagsgebäudes in Berlin eine offene Handfläche erkennen ließe, oder ein mittelgroßes Kaufhaus auf dem Mond, oder auch eine Strecke wie der Abstand Erde-Sonne in den uns am nächsten liegenden Bereichen der Milchstraße, wo heute noch Sterne und Planetensysteme entstehen.

Das nächste, für den Paranal vorgesehene interferometrische Messinstrument, AMBER, das für andere wissenschaftliche Zwecke eingesetzt werden soll, wird ein noch fünfmal höheres Auflösungsvermögen erreichen, da es bei kürzeren Wellenlängen arbeitet.

Wissenschaftliche Programme für MIDI:
Dank seiner hohen Empfindlichkeit für thermische Strahlung wird MIDI in idealer Weise geeignet sein für die Untersuchung von Materie in der nahen Umgebung der astronomischen Strahlungsquellen, welche diese Materie erwärmen. Meist entzieht sich dieses Material der Beobachtung, weil der Staub, den es enthält, die emittierte Strahlung absorbiert und abschattet. Aber diese Effekte sind bei den langen Wellenlängen (im Bereich von 0.01 mm), bei denen MIDI arbeitet, nahezu vernachlässigbar. Deshalb wird man mit MIDI solche Objekte untersuchen, wie etwa die rätselhaften Staubringe in den Zentren der Quasare und Radiogalaxien, die Gas- und Staubscheiben, welche neu entstandene Sterne umgeben, und in denen sich möglicherweise Planeten bilden, und die Umgebungen von Riesensternen, wo die Staubteilchen erstmals gebildet werden, die später und anderenorts bei der Entstehung von Sternen und Planeten eine so wichtige Rolle spielen.

MIDI ist das erste Messinstrument, das interferometrische Beobachtungen dieser Art an großen Teleskopen ermöglicht. Zahlreiche Wissenschaftler erwarten nun mit großer Spannung den Beginn des regulären Beobachtungsbetriebes im nächsten Jahr. Die Ergebnisse der ersten Nacht zeigen, dass sie nicht umsonst warten werden.


Fußnoten

[1]: Diese Pressemitteilung wird vom MPIA in Abstimmung mit ESO und den am MIDI-Projekt beteiligten Instituten herausgegeben. Die beteiligten Institute sind:
In Deutschland:
Max Planck Institut für Astronomie (MPIA), Heidelberg (http://www.mpia.de/)
Thüringer Landessternwarte (TLS), Tautenburg (http://www.tls-tautenburg.de/)
Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik (KIS), Freiburg
(http://www.kis.uni-freiburg.de/kiswwwe.html)

In Holland:
Netherlands Graduate School for Astronomy (NOVA), (http://www.strw.LeidenUniv.nl/nova)
Department of Astronomy – Leiden Observatory, (http://www.strw.LeidenUniv.nl)
Kapteyn Astronomical Institute, (http://www.astro.rug.nl/Kapteyn.shtml)
Astronomical Institute, Utrecht University, (http://www.phys.uu.nl/~wwwstk/extern.html)
ASTRON, (http://www.astron.nl/)
Astronomisches Institut, Amsterdam (http://www.astro.uva.nl)

In Frankreich:
Observatoire de Paris (OBSPM), (http://www.obspm.fr)
Observatoire de la Côte d'Azur (OCA), (http://www.obs-nice.fr)

Englische Fassung dieser Pressemitteilung:
http://eso.org/outreach/press-rel/pr-2002/pr-25-02.html (ESO)

Dänische Fassung: http://www.astronomy.nl/inhoud/pers/persactueel.html (NOVA)



[2]: Die Mitglieder des MIDI-Teams sind auf der MIDI-Website des MPIA http://www.mpia.de/MIDI/ aufgelistet. Hauptverantwortlich sind: Christoph Leinert (MPIA, Wissenschaftlicher Leiter), Uwe Graser (MPIA, Projekt-Manager), Andrea Richichi (ESO Instrument Scientist für MIDI), Francesco Paresce (ESO VLTI Project Scientist)



[3]: Information über das VLT- Interferometer (VLTI):
(VLTI Website) http://eso.org/projects/vlti/

ESO PR 06/01: First Light und Grundlagen der Interferometrie
http://eso.org/outreach/press-rel/pr-2001/pr-06-01.html

ESO PR 23/01: Beobachtungen mit zwei 8.2-m-Teleskopen in Oktober 2001
http://eso.org/outreach/press-rel/pr-2001/pr-23-01.html

ESO PR 16/02: Beobachtungen mit vier 8.2-m-Telescopes in September 2002
http://eso.org/outreach/press-rel/pr-2002/pr-16-02.html


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