Metallarme Galaxien – die jüngsten im Kosmos?

Die Europäischen Astronomen feiern die tausendste wissenschaftliche Publikation mit Daten des europäischen Infrarot-Satelliten ISO

20. August 2003

Ein Team von Astronomen aus Deutschland, USA, Russland und Japan hat unter 250 000 Galaxien, zu denen der Sloan Digital Survey (SDSS) spektrale Informationen geliefert hat, acht extrem metallarme Galaxien (extremely metal poor galaxies, XMPGs) identifiziert. Damit eröffnet sich ein neuer Zugang zur Erforschung der metallärmsten Galaxien im Kosmos.

Nach dem Urknall vor etwa 14 Milliarden Jahren bestanden die Atome des Universums nur aus Wasserstoff und Helium. Alle schwereren Elemente, von den Astronomen als »Metalle« bezeichnet, wurden erst später im Laufe Zeit im heißen Inneren neu entstandener Sterne erbrütet. Die Generationen von aus der interstellaren Materie in den Galaxien immer neu geborenen Sternen gaben am Ende ihres Lebens die erbrüteten Metalle an das interstellare Medium zurück, sodass der Metallgehalt der Galaxien insgesamt stetig zunahm. Demnach sollten die jüngsten Galaxien den geringsten Gehalt an Metallen aufweisen. Man erwartet sie in großer Entfernung, dort, wo wir sie aufgrund der endlichen Lichtgeschwindigkeit in einer frühen Entwicklungsphase des Universums beobachten.

Auf der Suche nach solchen »jüngsten Galaxien« befassten sich die Forscher des SDSS-Teams mit 250 000 Galaxien aus dem SDSS-Katalog. Alexei Kniazev und Eva Grebel (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), die Leiter des Projekts, untersuchten den Metallgehalt der leuchtenden interstellaren Materie dieser Galaxien, die aus dem ausgestoßenen Material der Sterne früherer Generationen besteht, und aus der sich neue Sterne bilden. Dabei fanden sie sieben Galaxien, deren Metallgehalt nur ein Zwanzigstel des Metallgehalts der Sonne beträgt. Die große vom SDSS durchmusterte Fläche (ein Viertel des gesamten Nordhimmels), seine hohe Empfindlichkeit und die gleichmäßige Qualität der gesammelten Daten waren die optimale Voraussetzung zur Suche nach diesen seltenen Objekten.

Die Bedeutung der Suche nach XMPGs als möglichen »nahen jungen Galaxien« war bereits vor mehr als 30 Jahren erkannt worden. Die erste Durchmusterung nach diesen Objekten wurde von Leonard Searle und Wallace L.W. Sargent Anfang der siebziger Jahre auf Photoplatten aus Glas durchgeführt. Die neue Suche der SDSS-Durchmusterung hat nun eine mehrere hundertmal so große Anzahl von Galaxien pro Quadratgrad ergeben, aus denen die XMPGs herauszufinden waren. »Extrapolieren wir auf die insgesamt vom SDSS zu überdeckende Fläche (etwa ein Viertel des gesamten Himmels), so können wir die Entdeckung von mindestens 20 weiteren XMPGs erwarten,« meinen die beteiligten Forscher.

Überraschenderweise stehen die neu gefundenen XMPGs unserem Milchstraßensystem relativ nahe, sodass wir sie praktisch in ihrem gegenwärtigen Zustand wahrnehmen. »Können diese nahen Galaxien erst kürzlich entstanden sein?«, fragt Alexei Kniazev. Während normale Galaxien wie unser Milchstraßensystem etwa 13 Milliarden Jahre alt sind, dürften die »metallarmen« Galaxien nicht mehr als einige hundert Millionen bis eine Milliarde Jahre alt sein. »Allerdings« warnt Kniazev, »muss ein geringer Metallgehalt der Galaxien nicht notwendig ein junges Alter bedeuten.«

Es gibt grundsätzlich zwei Typen von extrem metallarmen Galaxien. Zum einen Typ gehören die blauen kompakten Galaxien, kleine isolierte Systeme, die gegenwärtig eine Phase hoher Sternbildungsaktivität durchlaufen. Die andere Klasse enthält Scheibengalaxien, irreguläre Galaxien und irreguläre Zwerggalaxien. Die neuen Ergebnisse werfen eine Anzahl Fragen auf. Zwar sind die meisten Galaxien vor etlichen Milliarden Jahren entstanden. Aber kann es sein, dass ein kleiner Bruchteil erst heute entsteht? Kann es sein, dass in einigen der ursprünglichen Wolken aus Wasserstoff und Helium die allererste Sterngeneration erst kürzlich entstanden ist?

Eva Grebel vermutet, dass einige der neu entdeckten Objekte einen wesentlichen Teil ihrer Metalle verloren haben könnten. Die bei starker Sternbildungsaktivität ausgelösten Winde könnten die schweren Elemente aus dem interstellaren Medium der Galaxien herausgeblasen haben. Oder die Galaxien könnten sich so langsam, d.h. bei so geringen Sternentstehungsraten entwickelt haben, dass ihr Metallgehalt deshalb so gering ist. Von einigen der schon früher bekannten XMPGs wissen wir, dass es alte Galaxien sind, die sich sehr langsam entwickeln. Andere durchlaufen gegenwärtig eine heftige Sternentstehungsphase.

Eine andere Frage ist, wie die XMPGs relativ zu den normalen Galaxien verteilt sind. »Wir erwarten, dass XMPGs sich in einer isolierten Umgebung befinden, « sagt Lei Hao vom Prinveton University Observatory, »nun ist zu prüfen, ob das auch für die neu entdeckten Objekte der Fall ist. Nun gilt es einerseits, einige dieser Objekte im Detail zu untersuchen, und andererseits, ihre Eigenschaften als Gruppe zu bestimmen und die ganze Breite der in Galaxien vorkommenden Metallizitäten auszuloten. Das war zuvor deshalb nicht möglich, weil die einzelnen Objekte eher zufällig gefunden wurden. Die systematische Untersuchung der XMPGs wird gewiss zu einem tieferen Verständnis der Galaxienbildung insgesamt führen,« sagte Kniazev.

Die Ergebnisse dieser Studie wurden am 20. August 2003 in der Zeitschrift Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.
Zur Arbeitsgruppe, die mit diesen Forschungen befasst ist, gehören weiterhin:
Michael A. Strauss, Princeton university Observatory
Jonathan Brinkmann, Apache Point Observatory (Sunspot, New Mexico)
Mastaka Fukugita, Japan’s Inst. of Cosmic Ray Research, Univ. of Tokyo


Abbildungen:
Vier Beispiele der im SDSS entdeckten extrem metallarmen Galaxien:


SDSS J093401.92+551427.9
(alias I Zw 18)

SDSS J110553.76+602228.9
(alias SBS 1102+606)

SDSS J121546.56+522313.9
(alias CGCG 269-049)

SDSS J020549.13-094918.1
(alias KUG 0203-100)

Diese und weitere Bilder sind unter:
http://www.astro.princeton.edu/~rhl/PrettyPictures/
zu finden.
Quellenangabe: The Sloan Digital Sky Survey (Kniazev et al.)


Der Sloan Digital Sky Survey (SDSS)
Der Sloan Digital Sky Survey (sdss.org) wird bis zum Ende der Beobachtungsphase ein Viertel des gesamten Himmels durchmustern und dabei die Positionen und Helligkeiten von 100 Millionen Objekten bestimmen. Dabei wird sich auch die Entfernung zu mehr als einer Million Galaxien und Quasare ergeben. Das Teleskop, mit dem der SDSS durchgeführt wird, gehört zum Apache Point Observatory, das vom Astrophysical Research Consortium (ARC) betrieben wird.

SDSS ist ein Gemeinschaftsprojekt der University of Chicago, des Fermilab, des Institute for Advanced Study (Princeton), des Japan Participation Group, der Johns Hopkins University, des Los Alamos National Laboratory, des Max-Planck-Instituts für Astronomie, (Heidelberg (MPIA), des Max-Planck-Instituts für Astrophysik, Garching (MPA), der New Mexico State University, der University of Pittsburgh, der Princeton University, des United States Naval Observatory, and der University of Washington.

Das Projekt wurde finanziert durch die Alfred P. Sloan Foundation, die Participating Institutions, die National Aeronautics and Space Administration, die National Science Foundation, das U.S. Department of Energy, die Japanese Monbukagakusho und die Max-Planck-Gesellschaft.

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