Neue Radiobilder naher Galaxien

10. Januar 2008

Ein internationales Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg hat eine Datensammlung bereitgestellt, die über Jahre hinweg als Goldgrube für das Studium unserer kosmischen Nachbarschaft dienen wird.

Zum Herunterladen

Die Datensammlung besteht aus hoch präzisen und räumlich aufgelösten Bildern naher Galaxien, aus denen sich grundlegende Einblicke in zahlreiche ihrer Eigenschaften ableiten lassen. Dazu gehören: ihre komplexe Struktur, die in ihnen ablaufenden Sternentstehungsprozesse, die Bewegungszustände ihrer interstellaren Materie, und die Wechselwirkung zwischen »normaler« (sichtbarer) und »dunkler« (unsichtbarer) Materie.

Mehr als 500 Stunden Beobachtungszeit mit dem Very Large Array, einem von der amerikanischen National Science Foundation betriebenen, gigantischen Radiointerferometer in Socorro (New Mexico) waren erforderlich, um in 34 Galaxien, deren Entfernung zwischen 6 und 50 Millionen Lichtjahren liegt, die Radioemissionslinie des mit HI (»H-eins«) bezeichneten neutralen atomaren Wasserstoffs mit hoher räumlicher und spektraler Auflösung zu kartieren. Das Projekt heißt »The HI Nearby Galay Survey« (THINGS) – es dauerte zwei Jahre, bis die enorme Datenmenge von fast einem Terabyte aufgenommen war. Die vollständige Durchmusterung wurde jetzt auf einer Fachtagung in Austin, Texas, vorgestellt.

„Die Untersuchung der Radioemission des neutralen Wasserstoffs, der sich im interstellaren Raum der Galaxien befindet, ist ein sehr ideales Verfahren, um die physikalischen Prozesse in den Galaxien zu erhellen. In der THINGS-Durchmusterung wurden zu diesem Zweck Bilder höchster Qualität und Empfindlichkeit für eine repräsentative Sammlung von Galaxien unterschiedlichen Typs erstellt,“ erläutert der Projektleiter Fabian Walter vom Max-Planck-Institut für Astronomie.

Von den meisten Galaxien der THINGS-Durchmusterung liegen auch vergleichbare Beobachtungen bei anderen Wellenlängen vor, so etwa die mit den Weltraumteleskopen S PITZER  im Infraroten und GALEX im Ultravioletten aufgenommenen Bilder. Die Kombination aller dieser Daten bietet einen völlig neuen Zugang zu grundlegenden Fragen, etwa nach der Auswirkung der im interstellaren Medium ablaufenden Prozesse auf die Entwicklung der Galaxien insgesamt.

Die Analyse der THINGS-Daten in Verbindung mit den satellitengestützten Beobachtungen hat bereits zu zahlreichen Ergebnissen geführt. Zum Beispiel verstehen wir heute, unter welchen Bedingung Sternentstehung in Galaxien einsetzen kann. Auf der Tagung in Austin erläuterten Adam Leroy und Frank Bigiel vom Max-Planck-Institut für Astronomie auf dieser Grundlage die unterschiedliche Sternentstehungsaktivität in großen Spiralgalaxien wie unserem Milchstraßensystem und in den viel kleineren Zwerggalaxien.

Weil die Radioemission des neutralen Wasserstoffs bei einer scharf definierten Frequenz stattfindet, lässt sich der Bewegungszustand des interstellaren Gases aus der gemessenen Dopplerverschiebung ableiten. Gas, das sich auf den Beobachter zu bewegt, emittiert bei einer höheren Frequenz (»blauverschoben«); Gas, das sich von ihm weg bewegt, bei einer niedrigeren (»rotverschoben«). Weil die mit THINGS erzeugten Bilder so viele Details zeigen, lassen sich daraus sowohl die großräumigen Rotationsbewegungen als auch andere, nicht zirkuläre Strömungen untersuchen. Aus solchen Studien ergeben sich neue Informationen über die Menge und Verteilung der unsichtbaren »dunklen Materie«.

Diese Dunkle Materie ist in den Galaxien nicht so verteilt, wie hochaufgelöste Computer-Modelle vorhersagen. Es wurde in der Vergangenheit angeregt, dass dies auf diese nicht-zirkulären Strömungen in den Galaxien zurückzuführen sein könnte. Allerdings zeigen die detailierten THINGS-Beobachtungen, dass diese Strömungen nicht zur Erklärung dieser Diskrepanz zwischen Modell und Beobachtungen angeführt werden können.

Die THINGS-Bilder zeigen, wie komplex die Struktur des interstellaren Mediums in den Galaxien ist. Es treten riesige Schalen oder Blasen auf, die vermutlich durch mehrfache Supernova-Explosionen massereicher Sterne erzeugt werden. Die detaillierte Analyse dieser komplexen Strukturen wird Rückschlüsse auf die unterschiedliche Sternentstehungsrate in den verschiedenen Galaxientypen erlauben.

Auch die scheinbar simple Frage nach der Größe der scheibenförmigen Verteilung des interstellaren Gases in Spiralgalaxien hatten die Astronomen bisher nicht verlässlich beantworten können. Erst auf den hochwertigen THINGS-Bildern sind in einer umfassenden Stichprobe von Galaxien sozusagen die äußeren Kanten der Gasverteilung zu erkennen.

Die neue Durchmusterung verdeutlicht auch grundlegende Unterschiede zwischen dem heutigen Zustand der nahen Galaxien und den weit entfernten Galaxien, die wir in einem viel früheren Entwicklungszustand während der Jugendzeit des Universums sehen. Damals war das Gas viel stärker »aufgewirbelt«, möglicherweise weil Zusammenstöße zwischen Galaxien wesentlich häufiger vorkamen. Infolgedessen kam es zu viel heftigerer Sternbildungsaktivität – die neu entstandenen Sterne mit ihrem kräftigen Massenverlust und ihren energiereichen Winden haben diesen Zustand weiter aufgeschaukelt.

Eine erste Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen aufgrund der THINGS-Durchmusterung wurden beim amerikanischen Fachjournal ‚Astronomical Journal’ eingereicht. Die Wissenschaftler erwarten, dass diese ersten Entdeckungen nur die Spitze des Eisbergs sind – bisher konnte nur ein kleiner Teil der gesammelten Daten analysiert werden. So ist mit einer Fülle weiterer Einsichten in die Struktur und Entwicklung der Galaxien zu rechnen.

Das von Fabian Walter am Max-Planck-Institut für Astronomie geleitete THINGS-Projekt umfasst Arbeitsgruppen in Heidelberg sowie in England, USA, Südafrika, Australien und bei der Europäischen Südsternwarte (E SO ).



Zum Herunterladen

[Zurück nach oben]

Zur Redakteursansicht