Das Milchstraßensystem hat die Hälfte seiner Masse verloren!

Einer neuen, wesentlich genaueren Untersuchung zufolge ist die Masse unserer Galaxis nur etwa halb so groß wie bisher vermutet.

27. Mai 2008

Die neue Massenbestimmung beruht auf Daten des zweiten Slown Digital Sky Survey (SDSS-II), einer umfassenden und weitreichenden Himmelsdurchmusterung, und hat gewichtige Konsequenzen für unser Verständnis des Milchstraßensystems: Es sind zahlreiche Aspekte betroffen, von seiner Fähigkeit, kleinere, begleitende Galaxien zu verschlucken und deren Materie in neue Sterne umzuwandeln, bis zur Gravitationswirkung der Dunklen Materie auf die Entwicklung und Dynamik des gesamten Systems.

Eine internationale Forschergruppe hat für diese neue Massenbestimmung die Geschwindigkeiten von Sternen ermittelt, die das Zentrum der Galaxis in ihren Außenbereichen, dem so genannten Halo, auf weiten Bahnen umlaufen. Für diese Studie wurden die im Rahmen der Durchmusterung SEGUE gesammelten Daten verwendet, die zum Projekt SDSS-II gehört. SEGUE steht für: »Sloan Extension for Galactic Understanding and Exploration«.

Zur Ableitung der Masse der Galaxis bestimmte die Gruppe unter der Leitung von Xiang-Xiang Xue, einer Forscherin des Nationalen Observatoriums Chinas, gegenwärtig Doktorandin am Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie, die typischen Geschwindigketen dieser Sterne in unterschiedlichen Entfernungen vom galaktischen Zentrum. Diese Geschwindigkeiten verraten den Astronomen, wie schnell die Sterne sich bewegen müssen, um der Anziehungskraft des Milchstraßensystems und seiner Dunklen Materie zu widerstehen.

»Die Galaxis besitzt weniger Masse als wir dachten, insbesondere gibt es viel weniger Dunkle Materie als bisher vermutet«, erklärte Xue. Als »Sonden« zur Bestimmung des Gravitations-feldes, und damit der Massenverteilung, innerhalb der Galaxis wurden in der SEGUE-Untersuchung 2400 Sterne aus der homogensten jemals gezogenen Stichprobe galaktischer Sterne verwendet: Sie befinden sich in den Außenbereichen der Galaxis und durchlaufen in ihrer Entwicklung die als »Blauer Riesen-Ast« bezeichnete Phase. Das 2,5-Meter-Teleskop der Sloan-Durchmusterung in New Mexiko lieferte für diese leuchtkräftigen blauen Sterne digitale Bilder und Spektren, aus denen sich sowohl ihre Position am Himmel als auch ihre Entfernung und Geschwindigkeit mit hoher Präzision ableiten lassen.

Zwei frühere Studien aus dem Jahr 2003 beruhten auf der Bestimmung der Fluchtgeschwindigkeit von 50 beziehungsweise 500 Sternen aus einer inhomogenen Stichprobe – sie führten auf eine Masse der Galaxis, die zweitausend Milliarden (zwei Billionen) Sonnenmassen entspricht. Die neue, auf SEGUE-Daten basierende Studie ergab einen nur halb so großen Wert.

Gewöhnlich bestimmt man die Masse der Galaxis, indem man nicht die Umlaufgeschwindigkeiten, sondern die höchsten Geschwindigkeiten misst, die bei Sternen in der Sonnenumgebung vorkommen. »Sterne, die zu schnell sind, müssen die Galaxis vor langer Zeit verlassen haben, man findet sie also nicht«, erklärt Hans-Walter Rix, Direktor des Max-Planck-Instituts für Astronomie. »Die höchsten gemessenen Geschwindigkeiten entsprechen somit der Fluchtgeschwindigkeit und liefern eine unabhängige Abschätzung der Masse unserer Galaxis. Auch auf diesem Wege finden wir den neuen, niedrigen Wert.«

»Das Ergebnis spielt auch dann eine wichtige Rolle,« sagt Xue, »wenn man das Milchstraßensystem mit anderen Galaxien vergleichen will. Die neue, auf SDSS-II- und SEGUE-Daten basierende Untersuchung ist auch deshalb einzigartig, weil sie ein dreidimensionales Bild der Galaxis liefert.«

Mit dem neu bestimmten, genaueren Wert für die Masse der Galaxis werden sich bessere Antworten zu vielen anderen Aspekten ihres Aufbaus ergeben. Das betrifft insbesondere die Aufteilung der Materie, aus welcher der galaktische Halo besteht, in »normale« und »dunkle« Materie. Aufgrund der neuen Ergebnisse lässt sich sagen, dass es weit weniger Dunkle Materie gibt als bisher vermutet.

Die Arbeit »The Milky Way's Circular Velocity Curve to 60 kpc and an Estimate of the Dark Matter Halo Mass from Kinematics of 2500 SDSS Blue Horizontal Branch Stars« von Xien-Xien Xue, Hans-Walter Rix und 15 weiteren Autoren aus Deutschland, China, England, den USA und Slovenien wurde von der Zeitschrift Astrophysical Journal zum Druck angenommen und soll im kommenden Herbst erscheinen.


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