Mini-Galaxie frisst Begleiter

9. Februar 2012

Astronomen haben zum ersten Mal eine Zwerggalaxie beobachtet, die gerade dabei ist, sich eine andere, noch kleinere Galaxie einzuverleiben. Welche Rolle Verschmelzungen für die Entwicklung der kleinsten Galaxien spielen, ist eine offene Frage. Nun haben zwei Forschergruppen unter Beteiligung der MPIA-Mitarbeiter David Martínez-Delgado und Michelle Collins unabhängig voneinander einen Beleg dafür gefunden, dass solche Verschmelzungen tatsächlich stattfinden. Ihre Untersuchungen nutzten vergleichsweise kleine Teleskope und stellen Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit von professionellen und Amateurastronomen dar.

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Die heute allgemein akzeptierten Modelle der Galaxienentwicklung beruhen auf Kannibalismus und gigantischen Verschmelzungen von Sternsystemen: Kleinere Galaxien verschmelzen in mehreren Schritten miteinander, bis große Galaxien wie unsere Milchstraße oder ihre noch massereicheren Vettern entstanden sind. Bevor diese Kette von Verschmelzungen von Galaxien und ihren Sternen allerdings ihren Anfang nehmen kann, müssen überhaupt erst einmal Sterne vorhanden sein.

Diese ersten Sterne, so die Vorstellung, entstanden direkt, als Gaswolken unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabierten; erreicht die Materie dabei eine bestimmte kritische Dichte und Temperatur, dann setzen Fusionsreaktionen ein und ein Stern ist geboren. Es ist vorstellbar, dass Galaxien der kleinsten bekannten Klasse, so genannte Zwerggalaxien, direkt auf diese Weise entstehen können – und dass sie dann erst einmal weiterwachsen, wenn weiteres Gas auf sie fällt, aus dem dann neue Sterne entstehen. Tatsächlich waren bei solchen Galaxien bislang keine Verschmelzungen beobachtet worden.

Jetzt aber haben gleich zwei Forschergruppen, eine unter der Leitung von David Martínez-Delgado vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), die andere geleitet von Michael Rich von der University of California at Los Angeles (UCLA), unabhängig voneinander das erste gesicherte Beispiel für eine Verschmelzung zwischen zwei Mini-Galaxien beobachtet. Sie fanden deutliche Hinweise darauf, dass es sich bei einem kleinen, erstmals 2007 nachgewiesenen Begleitobjekt der Zwerggalaxie NGC 4449 im Sternbild Jagdhunde um eine noch kleinere Zwerggalaxie handelt, die kurz davor steht, von NGC 4449 verschluckt zu werden.

Martínez-Delgado sagt: »Eine Reihe von Modellen sagt vorher, dass Zwerge andere Zwerge verschlingen sollten. Jetzt haben wir solch eine Mahlzeit erstmals direkt beobachten können und so ein wichtiges Puzzlestück der Galaxienentwicklung gefunden. Außerdem ist uns NGC 4449 relativ nahe. Dies zeigt, dass solche Prozesse auch im heutigen Universum noch eine Rolle spielen. Sie müssen berücksichtigt werden, um unsere kosmische Nachbarschaft zu verstehen.«

Michelle Collins vom MPIA, die in der Rich-Gruppe die Form der Zwerggalaxie untersucht hat, fügt hinzu: "Jetzt wo wir wissen, wie eine halbverdaute Zwerggalaxie aussieht, sollten wir in der Lage sein, weitere Beispiele für Zwerge zu finden, die andere Zwerge verschlingen. Sobald hinreichend viele Beispiele gefunden sind, stehen unsere Modelle der ersten Stadien des Galaxienwachstums auf einer sicheren Grundlage – oder wir sehen daran, was den Modellen noch fehlt."

Massenschätzungen für den verzerrten Zwerg legen nahe, dass er beträchtliche Mengen an Dunkler Materie enthält, die kein Licht aussendet und mit herkömmlicher, atomarer Materie nur durch ihre Schwerkraft in Wechselwirkung tritt. Trifft dies zu, dann könnte es sich um eine "versteckte Verschmelzung" handeln, bei der eine Galaxie mit einem Objekt verschmilzt, dass leuchtschwach und dementsprechend nur schwierig nachzuweisen ist, aber aufgrund seiner hohen Masse trotzdem einen merklichen Einfluss auf Form, Größe und Dynamik der größeren Galaxie ausübt.

Beide Gruppen nutzten bei ihren Untersuchungen der verzerrten Galaxie vergleichsweise kleine Instrumente und arbeiteten zu diesem Zweck mit Amateurastronomen zusammen: Rich und seine Kollegen nutzten im Mai und Juni 2011 das Saturn Lodge 70 cm-Teleskop auf dem Gelände der Polaris Observatory Association, und Martínez-Delgado et al. nutzten zwischen April 2010 und Januar 2011 Jay GaBanys 50 cm-Teleskop am Black Bird Observatory. Martínez-Delgado und seine Kollegen führten außerdem im Januar 2011 Nachbeobachtungen mit dem SUBARU-Teleskop auf Hawaii durch und gewannen so Bilder, in denen einzelne Sterne der kleineren Galaxie zu sehen sind.

Der Artikel von Rich et al. erscheint in der Ausgabe der Fachzeitschrift Nature vom 9. Februar 2012. Der Artikel von Martínez-Delgado et al. ist im Druck bei der Fachzeitschrift Astrophysical Journal Letters.

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Hintergrundinformationen

Der Artikel von Rich et al. trägt den Titel "A tidally distorted dwarf galaxy near NGC 4449" und erscheint in der Nature-Ausgabe vom 9. Februar 2012. Die Autoren sind R. Michael Rich (UCLA und Polaris Observatory Association), Michelle L. M. Collins (Max-Planck-Institut für Astronomie), C. M. Black (UCLA), Francis A. Longstaff (Polaris Observatory Association und UCLA), Andreas Koch (Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg), Andrew Benson (Caltech) und David B. Reitzel (UCLA und Griffith Observatory).

Der Artikel von Martínez-Delgado et al. ist unter dem Titel "Dwarfs gobbling dwarfs: A stellar tidal stream around NGC 4449 and hierarchical galaxy formation on small scales" im Druck bei der Fachzeitschrift Astrophysical Journal Letters. Die Autoren sind David Martínez-Delgado (Max-Planck-Institut für Astronomie), Aaron J. Romanowsky (University of California Observatories), R. Jay GaBany (Blackbird Observatory), Francesca Annibali (Osservatorio Astronomico di Bologna), Jacob A. Arnold (University of California Observatories), Jürgen Fliri (Observatoire de Paris), Stefano Zibetti (Niels Bohr Institute, Universität Kopenhagen), Roeland P. van der Marel (Space Telescope Science Institute, Baltimore), Hans-Walter Rix (Max-Planck-Institut für Astronomie), Taylor S. Chonis (University of Texas at Austin), Julio A. Carballo-Bello (Instituto de Astrofisica de Canarias, Tenerife), Alessandra Aloisi (Space Telescope Science Institute), Andrea V. Macciò (Max-Planck-Institut für Astronomie), J. Gallego-Laborda (Fosca Nit Observatory), Jean P. Brodie (University of California Observatories) und Michael R. Merrifield (University of Nottingham).

Die Arbeit von Martínez-Delgado am MPIA wird durch ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert.

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Fragen und Antworten

Was ist an den hier beschriebenen Ergebnissen neu/wichtig?
Der kleinere Begleiter von NGC 4449 wurde erstmals im Rahmen einer Suchkampagne für nahegelegene Zwerggalaxien entdeckt (Karachentsev, Karachentseva & Huchtmeier 2007). Die betreffenden Forscher vermuteten damals, es könne sich entweder um eine Zwerggalaxie handeln, die bei der Verschmelzung zweier größerer Galaxien Verzerrungen erlitten hatte, oder aber um eine Zwerggalaxie, die kurz davor stand, verschluckt zu werden. Die neuen, umfangreichen Untersuchungen der beiden Gruppen Rich et al. und Martínez-Delgado et al. bestätigen, dass es sich in der Tat um einen Zwerg handelt, der im Begriff ist, von der größeren Zwerggalaxie NGC 4449 verspeist zu werden.

Das ist der erste sichere Nachweis einer Verschmelzung zwischen zwei Zwerggalaxien. Solche Verschmelzungen waren zwar als Mechanismus für das Wachstum von Zwerggalaxien im Gespräch gewesen; als Alternative stand allerdings im Raum, dass sich neue Sterne in solchen Galaxien direkt aus Gaswolken bilden könnten, welche die Galaxie einfängt.

Die beobachteten Eigenschaften des verzerrten Begleiters von NGC 4449 – der langgestreckt ist und vergleichsweise schwach leuchtet – zeigen den Astronomen außerdem, wonach sie suchen müssen, um weitere Beispiele für Zwerg-Zwerg-Verschmelzungen zu finden.

Je weiter Astronomen in die Ferne schauen, umso weiter schauen sie auch in die Vergangenheit – schlicht weil das Licht ferner Objekte umso länger benötigt, uns zu erreichen, je weiter das betreffende Objekt von uns entfernt ist. NGC 4449 ist uns mit einem Abstand von 12 Millionen Lichtjahren für eine Galaxie vergleichsweise nahe. Ihrem Abstand entsprechend sehen wir die Zwerggalaxie und ihren Begleiter so, wie sie vor 12 Millionen Jahren waren. Das zeigt, dass solche Verschmelzungen nicht nur in ferner Vergangenheit (das Gesamtalter des Universums beträgt schließlich 13,7 Milliarden Jahre!) vorkommen, sondern auch in der gegenwärtigen kosmischen Ära. Solche Prozesse müssen daher einbezogen werden, wenn wir unsere kosmische Nachbarschaft (das "lokale Universum") beschreiben wollen.

Welche Teleskope/Instrumente wurden verwendet?
Um die allgemeinen Eigenschaften des Begleiters von NGC 4449 zu charakterisieren, verwendeten beide Gruppen Teleskope, wie sie von fortgeschrittenen Amateurastronomen genutzt werden: Rich und seine Kollegen beobachteten vom 29. Mai 2011 bis zum 1. Juni 2011 während der Kommissionierungsphase des Teleskops mit dem Saturn Lodge 70 cm-Teleskop (einem 28-Zoll Centurion), das von Rich und Longstaff finanziert und aufgestellt wurde und sich auf dem Gelände der Polaris Observatory Association befindet. Martínez-Delgado und seine Kollegen nutzten April bis Juni 2010 und im Januar 2011 das 50 cm-Ritchey-Chretien-Teleskop von R. Jay GaBany an dessen Blackbird Observatory in Alder Springs in Kalifornien. Martínez-Delgado und sein Team nahmen außerdem Detailbeobachtungen mit dem Subaru-Teleskop vor, dem auf Hawaii stationierten Hauptteleskop des japanischen Nationalobservatoriums, einem Spiegelteleskop mit 8,2 Metern Hauptspiegeldurchmesser. Bei ihrer Beobachtung am 5. Januar 2011 nutzten sie die Suprime-Kamera des Teleskops.

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