Schritt für Schritt – Massereiche Sterne in W3Main wurden nicht gleichzeitig geboren

16. Februar 2012

Mit Hilfe des neuen LUCI-1-Instruments am größten Teleskop der Welt, dem Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona, haben Astronomen deutscher Institute erstmals entdeckt, dass die massereichen Sterne in der galaktischen Sternentstehungsregion W3Main nicht gleichzeitig geboren wurden. Diese Entdeckung hat wichtige Konsequenzen für unser generelles Verständnis des Sternentstehungsprozesses und stellt das bisherige einfache Bild in Frage, nachdem sich solche Sterngruppen in einem einzigen Ereignis bilden. Während der letzten Jahre gab es immer mehr Hinweise darauf, dass dieser Prozess in den meisten Fällen offenbar komplexer abläuft. Dank der aktuellen Beobachtungen wissen wir nun, dass Sterne sich nacheinander über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren bilden können.

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Massereiche Sterne – also Sterne mit 10 bis 100 Sonnenmassen – bilden sich immer zusammen in Gruppen oder Haufen innerhalb von dichten Wolken aus Gas und Staub – so genannten Molekülwolken. Ein Beispiel einer solchen Umgebung in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, ist W3Main in einer Entfernung von 6000 Lichtjahren. W3Main ist Teil einer größeren Sternentstehungsregion im nördlichen Sternbild Kassiopeia. Die Annahme, dass alle Sterne in solchen Gebieten gleichzeitig entstehen, ist seit langem in Frage gestellt. Vielmehr ist denkbar, dass eine zuerst entstandene Generation von Sternen die Bildung einer späteren Generation erst bewirkt oder zumindest beeinflusst. Der einzige Weg, die tatsächliche Geschichte und den Zeitraum der Sternentstehung zu bestimmen, besteht darin, das genaue Alter der Sterne zu messen.

Die Dunkelheit durchdringen – das Unsichtbare sichtbar machen
Solche Beobachtungen sind eine Herausforderung, weil sich massereiche Sterne tief eingebettet in Molekülwolken bilden und deshalb versteckt sind hinter einem dichten und scheinbar undurchdringlichen Vorhang aus Gas und Staub. Dies macht ihre Geburt und die Frühphasen ihres Lebens unbeobachtbar für Teleskope, die im sichtbaren Licht arbeiten. Glücklicherweise kann man mit Beobachtungen bei längeren Wellenlängen im Nahinfrarot durch den Staub hindurch sehen und die versteckten Sterne beobachten.

Das neue LUCI-1 Instrument am LBT – ein Vielzweckinstrument für Spektren und Bilder im Nahinfrarot – ist perfekt geeignet um solche jungen und kürzlich entstandenen massereichen Sterne zu studieren und deren Alter zu messen.
Zum Vergleich zeigt Abb. 1 das LUCI-1 Bild von W3Main im Nahinfrarot (oben links) und ein Bild im sichtbaren Licht (oben rechts). Während das normale Bild nur wenige Sterne zeigt, enthüllt das LUCI-1 Bild eine reiche Gruppe junger Sterne.

LUCI-1 Spektren – Fingerabdrücke der Sterne
Bilder liefern jedoch nur Informationen zu den Helligkeiten und Farben der Sterne und sind deshalb nur begrenzt nützlich, um genaue stellare Eigenschaften zu ermitteln. Spektren hingegen sind wie Fingerabdrücke und erlauben eine viel bessere Charakterisierung. Dort wird das Licht wie bei einem Regenbogen in seine individuellen Farben (Wellenlängen) zerlegt und es zeigen sich dabei eine Menge Spektrallinien die Aufschluss über den chemischen und physikalischen Zustand geben. Dies erlaubt die Bestimmung ihres Spektraltyps und damit eine genaue Messung der Leuchtkraft und Temperatur. Daraus wiederum kann im Vergleich mit Sternentwicklungsmodellen das Alter präzise bestimmt werden.
Spektren von einer repräsentativen Zahl der fernen und damit lichtschwachen Sterne in W3Main zu erhalten erfordert jedoch lange Beobachtungszeiten, um die notwendige Menge an Licht zu sammeln – auch mit den größten Teleskopen.
Doch jetzt gelang es einer Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung von Dr. Arjan Bik vom Max-Planck Institut für Astronomie in Heidelberg, hochqualitative Spektren von 16 der massereichsten Sterne in W3Main gleichzeitig zu messen (vgl. Abb. 2).
Dies war möglich durch die Verwendung des Multi-Objekt-Spektroskopie-Modus (MOS) von LUCI-1 am LBT.

»Zum ersten Mal waren wir in der Lage, das Alter von verschiedenen Sternen innerhalb von W3Main und die Zeitspanne ihrer Entstehung zu bestimmen«, so Dr. Arjan Bik, der Erstautor der zugehörigen wissenschaftlichen Publikation aus der Januarausgabe des renommierten Astrophysical Journal. »Die ältesten Sterne in dieser Region sind offenbar bereits zwei Millionen Jahre alt, während andere Sterne deutlich jünger sind und sich gerade erst tief im Innern ihrer Staubhülle bilden.«

Das Ergebnis bestätigt, dass die Sternentstehung massereicher Sterne tatsächlich sehr viel komplexer und kein einmaliges Ereignis sein kann, sondern über Millionen Jahre andauern kann. Wir wissen nun, dass die Sternentstehung in W3Main vor zwei Millionen Jahren begann und bis heute andauert. Dies deutet darauf hin, dass die gegenseitige Wechselwirkung zwischen den zuerst entstandenen Sternen und denen, die momentan entstehen, sehr wahrscheinlich ein wichtiger Faktor bei Sternentstehungsprozessen ist.

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Hintergrundinformationen

Die zugrunde liegende wissenschaftliche Publikation wurde veröffentlicht im ASTROPHYSICAL JOURNAL, 744, 87 (January 10, 2012)

Das Large Binocular Telescope (LBT) ist ein Gemeinschaftsprojekt von Institutionen in den USA, Italien und Deutschland. Die Partner der LBT-Corporation sind:

  • University of Arizona on behalf of the Arizona University System
  • Istituto Nazionale di Astrofisica, Italy
  • LBT Beteiligungsgesellschaft, Deutschland, repräsentiert durch: Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg, Leibniz Institut für Astrophysik Potsdam, Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in München, und Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn
  • The Ohio State University
  • The Research Corporation, on behalf of The University of Notre Dame, University of Minnesota and University of Virginia


Das LBT befindet sich auf dem Mount Graham (Arizona, USA) in 3200m Höhe. Es vereint zwei riesige Spiegel mit 8.4 Metern Durchmesser auf einer Montierung womit das LBT das größte Einzelteleskop der Welt ist. Ausgestattet mit adaptiver Optik (zur Korrektur von Störungen atmosphärischer Turbulenzen) und im Interferometrie-Modus (der letzten Ausbaustufe, welche die Lichtwege beider 8.4 m Spiegel kombiniert) wird das LBT die Auflösung eines 22.8-Meter Teleskops erreichen (10 mal besser als das Hubble Weltraumteleskop).

LUCI ist ein Acronym für Large Binocular Telescope Near-infrared Utility with Camera and Integral Field Unit.
LUCI-1 ist ein bemerkenswertes neues Vielzweck-Instrument mit großer Flexibilität, welches ein großes Gesichtsfeld mit hoher Auflösung kombiniert. Es unterstützt drei auswechselbare Kameras für Direktbilder und Spektroskopie in verschiedenen Auflösungen je nach Beobachtungsanforderungen. Neben der herausragenden Technik zur Gewinnung von Bildern mit gegenwärtig 18 Hochqualitätsfiltern, erlaubt LUCI-1 die gleichzeitige Spektroskopie von etwa zwei Dutzend Objekten im Infrarot mittels lasergestanzter Schlitzmasken. Für höchste Flexibilität können die Masken selbst bei den kryogenen Arbeitstemperaturen mittels eines innovativen robotischen Maskenwechslers getauscht werden, der die Masken mit höchster Genauigkeit in der Brennebene positioniert.
LUCI-1 und sein Zwilling LUCI-2 haben ihren Platz im sog. Gregory Fokus der beiden riesigen 8.4-meter Spiegel des LBT. Jedes Instrument ist auf –213 Grad Celsius gekühlt um im Nahinfraroten beobachten zu können. Nahinfrarot-Beobachtungen sind essentiell sowohl für das Verständnis der Bildung von Sternen und Planeten in unserer Milchstraße als auch um die Geheimnisse der fernsten und jüngsten Galaxien zu entschlüsseln.
Die LUCI-Instrumente wurden durch ein Konsortium von fünf deutschen Instituten gebaut (unter der Leitung des Zentrums für Astronomie Heidelberg (Landessternwarte Heidelberg, LSW) in Zusammenarbeit mit dem Max Planck Institut für Astronomie in Heidelberg (MPIA), dem Max Planck Institut für Extraterrestrische Physik in Garching (MPE), dem Astronomischen Institut der Ruhr-Universität in Bochum (AIRUB), sowie der Hochschule Mannheim.

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