Auch Galaxien praktizieren Recycling

14. März 2012

Ziehen Astronomen Bilanz über die Mengen an Gas und Staub in normalen Galaxien (wie der Milchstraße), dann reichen die nachgewiesenen Mengen nicht aus, um erklären zu können, wie diese Galaxien in dem beobachteten Maße ständig neue Sterne bilden. Als (Teil-)Lösung wurde ein gigantischer Recycling-Kreislauf vorgeschlagen, für den es in unserer galaktischen Nachbarschaft auch konkrete Anzeichen gibt. Nun hat eine neue Studie unter der Leitung von Kate Rubin vom Max-Planck-Institut für Astronomie auch bei entfernteren Galaxien erste direkte Hinweise auf einen wichtigen Baustein galaktischen Recyclings gefunden: Gas, das zu fernen Galaxien zurück fließt, in denen sich neue Sterne bilden.

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Sternentstehungsgebiete, etwa der Orionnebel, gehören zu den schönsten astronomischen Beobachtungsobjekten. Abschätzungen zufolge wird in unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, pro Jahr rund eine Sonnenmasse an Gas in neue Sterne umgesetzt. Verschafft man sich allerdings einen Überblick über das verfügbare Rohmaterial – Wolken von Gas und Staub – dann zeigt sich, dass unsere Galaxie ihre Stern-Produktionsrate aus diesem Reservoir nicht für mehr als ein paar Milliarden Jahre aufrecht erhalten könnte.

Im Vergleich mit dem großen Alter unserer Galaxie legt das die Frage nahe: Befinden wir uns jetzt gerade in einer aus astronomischer Sicht eher kurzen, ganz besonderen Ära besonders schneller Sternentstehung? Altersbestimmungen an Sternen und der Vergleich mit anderen Spiralgalaxien zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Eine Sonnenmasse pro Jahr ist eine typische Produktionsrate, und das führt auf ein ganz allgemeines Problem: Wo ist das Rohmaterial für diese Produktion?

Offenbar findet zusätzliche Materie ihren Weg in diese Galaxien. Eine Möglichkeit ist, dass Gas aus den riesigen Bereichen geringer Gasdichte, die den intergalaktischen Raum erfüllen, in die Galaxien strömt; es gibt freilich keine Anzeichen dafür, dass dies tatsächlich passiert. Als weiterer Mechanismus ist daher ein gigantischer kosmischer Materiezyklus ins Spiel gebracht worden: Schon länger ist bekannt, dass aus vielen Galaxien Materie herausströmt – etwa, weil gewaltige Supernova-Explosionen (mit denen massereiche Sterne ihr Leben beenden) Materie herausschleudern, oder weil sehr helle Sterne durch ihren schieren Strahlungsdruck Gas aus ihrer Nachbarschaft vertreiben.

Während das Gas von den Galaxien weg treibt, ist es dem ständigen Ziehen der Schwerkraft der Galaxie ausgesetzt – ist dieser Einfluss stark genug, so könnte das Gas über Zeiträume von einigen Milliarden Jahren wieder auf die Galaxie zurückstürzen. Das könnte die Lösung des Rätsels liefern, würde es doch bedeuten, dass das Gas, welches wir in den Galaxien finden, nur ungefähr die Hälfte des Rohmaterials repräsentiert, das für die Sternentstehung zur Verfügung steht – große Mengen von Gas befinden sich noch auf Reisen, werden aber zu späterer Zeit in die Galaxie zurückkehren. Zusammen genommen reichen das innergalaktische Gas und das Gas, das gerade den kosmischen Recyclingprozess durchläuft, aus, um die beobachteten Sternentstehungsraten zu erklären.

So weit, so gut, aber kann dieser Prozess überhaupt funktionieren? Würde das ausgestoßene Gas in die Galaxie zurückströmen, oder besteht die Gefahr, dass seine Geschwindigkeit die so genannte Fluchtgeschwindigkeit der Galaxie übersteigt, sprich: dass das Gas immer weiter in den Raum hinaus fliegt, ohne jemals zurückzukehren? Für "lokale Galaxien", die bis zu einige hunderte Millionen Lichtjahre von uns entfernt sind, gibt es in der Tat Beobachtungen, die zeigen, wie Gas auf die Galaxie zurückströmt. Doch was ist mit weiter entfernten Galaxien, von denen bekannt ist, dass sie deutlich schnellere Ausflüsse aufweisen? Wäre die Schwerkraft dieser Galaxien zu schwach, um das herausgeschleuderte Gas wieder zurück zu ziehen, dann müssten die Astronomen ihre Modelle für die Materialzufuhr für Sternentstehung auf galaktischen Skalen grundlegend überdenken.

Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Kate Rubin (MPIA) das Keck I-Teleskop auf Mauna Kea, Hawaii, genutzt, um das Gas von hundert Galaxien zu untersuchen, die zwischen 5 und 8 Milliarden Lichtjahren (z ~ 0,5 – 1) von uns entfernt sind. Für sechs dieser Galaxien fanden Rubin und ihre Kollegen erstmals direkte Anzeichen, dass im intergalaktischen Raum treibendes Gas wieder auf Galaxien zurückströmt, in denen es dann zur Sternentstehung beiträgt. Dabei dürfte die beobachtete Strömung auch von der Orientierung der Galaxie relativ zum Beobachter abhängen; außerdem messen Rubin und ihre Kollegen nur die durchschnittliche Gasbewegung. Die Gesamtzahl der Galaxien, in die Gas einströmt, dürfte daher deutlich über den direkt aus den Messdaten folgenden 6% liegen und könnte bis zu 40% betragen. Damit haben die Astronomen ein wichtiges Puzzlestück des kosmischen Recyclings ("galaktische Fontänen") gefunden – und einen überzeugenden Hinweis darauf, dass sich das Rätsel des fehlenden Rohmaterials auf diese Weise lösen lässt.

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Hintergrundinformationen

Die hier beschriebenen Ergebnisse sind als Kate H. R. Rubin et al., »The Direct Detection of Cool, Metal-Enriched Gas Accretion onto Galaxies at z ~ 0.5« in den Astrophysical Journal Letters, Bd. 747 (2012), S. 26ff. erschienen. Die Ko-Autoren sind Kate H. R. Rubin (Max-Planck-Institut für Astronomie), J. Xavier Prochaska (MPIA und UCO/Lick Observatory, University of California), David C. Koo (UCO/Lick Observatory) und Andrew C. Phillip (UCO/Lick Observatory).

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Fragen und Antworten

Welche Teleskope/Instrumente wurden in dieser Untersuchung verwendet?
Die Daten wurden mit dem Low Resolution Imaging Spectrometer (LRIS, wörtlich das niedrigaufgelöste bildgebende Spektrometer) am Keck I-Teleskop aufgenommen, das auf dem Gipfel des Mauna Kea auf Hawaii steht. Zusätzliche Bilder, aus denen sich die räumliche Orientierung der Galaxien erschließen lässt, wurden mit der Advanced Camera for Surveys (ACS, wörtlich die Fortschrittliche Kamera für Durchmusterungen) des Hubble-Weltraumteleskops aufgenommen. Das Keck-Teleskop wird vom W. M. Keck-Observatorium betrieben, das wiederum durch die California Association for Research in Astronomy (CARA) geleitet wird; zu dieser Vereinigung gehören Vertreter des California Institute of Technology und der University of California, mit Verbindungsleuten zur NASA und der Keck-Stiftung. Das Hubble-Weltraumteleskop ist ein internationales Kooperationsprojekt der US-Weltraumagentur NASA und der europäischen Weltraumagentur ESA.

Wie wurde nachgewiesen, dass das Gas auf die Galaxien zurückströmt?
Misst man das Spektrum des Gases – die Verteilung seines Lichts auf die verschiedenen Farbbereiche (Wellenlängen) –, dann kann man mit Hilfe des so genannten Dopplereffekts feststellen, mit welcher Geschwindigkeit sich das Gas in Blickrichtung auf den Beobachter zu oder von ihm weg bewegt. Für derart weit entfernte Galaxien ist es freilich nicht möglich, einzelne Gaswolken im Bild auseinander zu halten. Stattdessen verglichen Rubin und ihre Kollegen ihre Daten mit einem vereinfachten Modell mit nur zwei Gaswolken: Einer bewegten Wolke und einer Wolke, welche das Gas darstellt, dass relativ zu den Sternen der Galaxie ruht. Für die bewegte Wolke bestimmten sie dann eine Geschwindigkeit, die so etwas wie eine Durchschnittsgeschwindigkeit des bewegten Gasanteils darstellt. In 2/3 der Fälle entsprach diese mittlere Geschwindigkeit einem Ausströmen. In 6 Fällen erfolgte die mittlere Bewegung in Richtung auf die Galaxie hin.

Woher wissen wir, dass das gemessene Gas tatsächlich aus der beobachteten Galaxie stammt?
Die Nachweismethode verwendet Spektrallinien (allgemein: eng begrenzte Wellenlängenbereiche, in denen eine Quelle besonders viel oder besonders wenig Licht aussendet), die charakteristisch für die chemischen Elemente Magnesium und Eisen sind. Diese Elemente werden im Inneren von Sternen hergestellt; im urtümlichen intergalaktischen Gas sind sie noch nicht enthalten. Damit ist sichergestellt, dass die gemessenen Gase nicht aus dem intergalaktischen Medium stammen (obwohl auch dies für die Astronomen sehr interessant wäre!), sondern es handelt sich um galaktische Materie. Da die beobachteten Galaxien vergleichsweise isoliert gelegen sind, sind sie die bei weitem wahrscheinlichsten jeweiligen Quellen für die beobachteten Wolken. Es besteht allerdings auch die (unwahrscheinliche) Möglichkeit, dass das Gas zu einer Zwerggalaxie gehört (oder gehörte), die von ihrem größeren Verwandten angezogen wird.

Warum handelt es sich bei den 6% nur um einen unteren Grenzwert?
Wahrscheinlich gibt es bei Galaxien für Ein- und Ausströmungen bevorzugte Richtungen. Interessanterweise sehen wir fünf der sechs Galaxien, auf die Materie zurückströmt, von der Seite (anstatt direkt von oben auf die Scheibe zu blicken). Das ließe sich erklären, wenn Ausströmungen bevorzugt senkrecht zur Galaxien stattfinden, während Materie bevorzugt seitwärts wieder in die Galaxie hinein strömt. Wäre dies in der Tat der fall, dann würden die gemessenen durchschnittlichen Geschwindigkeiten nur dann einem Zufluss entsprechen, wenn wir die betreffende Galaxie gerade von der Seite sehen. Allgemeiner zeigt die Methode nur Durchschnittsgeschwindigkeiten, so dass schwächere Rückflüsse von stärkeren Ausströmungen »übertönt« werden können.

Was ist das neue an den hier vorgestellten Ergebnissen?
Rubin und ihren Kollegen sind die ersten Beobachtungen von Gas gelungen, das auf ferne Galaxien hinströmt, in denen sich derzeit aktiv neue Sterne bilden. Im lokalen Universum waren Zuflüsse auf Spiralgalaxien bereits vorher beobachtet werden (Wakker 2001 und Lehner & Howk 2011 für die Milchstraße; Sancisi et al. 2008 für Galaxien mit Abständen bis zu 200 Millionen Lichtjahren). Für entferntere Galaxien, von denen bekannt ist, dass sie deutlich stärkere Materieströme ausstoßen, gab es keine eindeutigen Belege: frühere Beobachtungen von fernen (Rotverschiebung z > 0,5) Galaxien, in denen sich neue Sterne bilden (z.B. Weiner et al.2009, Steidel et al. 2010), konnten nur Ausflüsse nachweisen – was nicht verwundert, da bei diesen Beobachtungen über mehrere hundert Galaxien gemittelt werden musste, um überhaupt einen Durchschnittswert erhalten zu können. Bei dieser Durchschnittsbildung werden die wenigen Fälle, in denen Gas auf die Galaxie zuströmt, von den weitaus häufigeren Fällen, in denen die Ausströmung dominiert, mehr als ausgeglichen. Weiterhin gab es vorherige Beobachtungen von Zuflüssen auf ferne Galaxien (Sato et al. 2009, Coil et al. 2011); in diesen Fällen wurden allerdings alte Galaxien beobachtet, in denen sich keine Sterne mehr bilden. Die Arbeit von Rubin und ihren Kollegen stellte den ersten Zusammenhang zwischen Zuflüssen und fernen Spiralgalaxien her, in denen sich neue Sterne bilden – ein wichtiger Schritt hin zur Lösung des Rätsels des fehlenden Rohmaterials.

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