Das versteckte Innenleben des Orionnebels: Tanzende Filamente und eine neuartige Möglichkeit der Sternentstehung

11. Mai 2016

Im Weltall können in vergleichsweise kurzer Zeit ganze Sternhaufen entstehen. Aus einer Untersuchung eines Gas- und Staubfilaments, zu dem auch der bekannte Orionnebel gehört, schlagen Amelia Stutz und Andrew Gold vom Max-Planck-Institut für Astronomie einen neuen Mechanismus für diese ultraschnelle Sternentstehung vor. Ihren Untersuchungen nach ist das Filament eine flexible Struktur, zusammengehalten durch Gravitation und stabilisiert durch Magnetfelder, die hin und her schwingt. Dies und die Lage der Sternhaufen rund um das Filament legt nahe, dass Instabilitäten, wie sie aus der Plasmaphysik bekannt sind, für die schnelle Bildung von Sternhaufen verantwortlich sein könnten.

Hintergrundinformationen Bilder und Download-Bereich Ausführliche Beschreibung

Der Orionnebel, als hellrote, komplex gemusterte Gaswolke bekannt aus zahlreichen Teleskopbildern, ist eines der bekannten astronomischen Objekte überhaupt. Amelia Stutz und Andrew Gould vom Max-Planck-Institut für Astronomie sind überzeugt, dass der Orionnebel noch sehr viel mehr sein dürfte, nämlich das Schlüsselobjekt um zu verstehen, wie große Molekülwolken binnen weniger Millionen Jahre (also auf astronomisch gesehen kurzen Zeitskalen) ganze Sternhaufen auf einmal bilden können.

Ausgangspunkt für die Überlegungen von Stutz und Gould sind Karten der Massenverteilung in einer Struktur, die „integralförmiges Filament“ genannt wird (siehe Abbildung 1) und zu der auch der Orionnebel-Sternhaufen gehört, sowie Studien zu den Magnetfeldern in und um dieses Filament. (Seinen Namen verdankt das Filament dem Umstand, dass es aussieht wie ein langgezogenes S, also wie das Integralzeichen der Mathematiker.) Diese Daten zeigen, dass der Einfluss von Magnetfeldern und Gravitation auf das Filament ungefähr gleich groß ist. Die zwei Astronomen haben darauf aufbauend ein Szenario entwickelt, in dem das Filament ein flexibles, hin- und her schwingendes Gebilde ist, deutlich anders als die üblichen Modelle von Gaswolken, die unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren.

Wichtiger Beleg für das neue Bild ist die Verteilung von Protosternen und von jungen Sternen in und um das Filament. Protosterne sind noch im Entstehen begriffen: Sie ziehen sich noch weiter zusammen, bis ihre Kernregionen genügend hohe Dichten und Temperaturen erreicht haben, dass dort im großen Stil Kernfusionsreaktionen einsetzen können. Protosterne sind leicht genug, um mitgenommen zu werden, wenn das Filament hin und her schwingt. Junge Sterne sind deutlich kompakter, und werden vom Filament schlicht zurückgelassen oder wie aus einer Steinschleuder in den umgebenden Raum katapultiert. So kann das Szenario erklären, was die Beobachtungsdaten in der Tat zeigen: dass sich nämlich die Protosterne nur entlang des dichten Rückgrats des Filaments finden, junge Sterne dagegen vor allem außerhalb des Filaments.

Die potenziell wichtigste Folge des neuen Szenarios ist, dass sich daraus ein neuer Mechanismus für die Entstehung ganzer Sternhaufen auf (astronomisch gesehen) kurzen Zeitskalen ergeben könnte. Die Positionen der Sternhaufen in und um das integralförmige Filament legen nahe, dass das Filament ursprünglich in nördliche Richtung deutlich weiter ausgedehnt war als heute. Über Millionen von Jahren scheint sich dann von Norden aus ein Sternhaufen nach dem anderen gebildet zu haben, und jeder fertige Sternhaufen hat das ihn umgebende Gas-Staub-Gemisch mit der Zeit zerstreut. Daher sehen wir heute drei Sternhaufen in und um das Filament: der älteste davon am weitesten von der heutigen Nordspitze des Filaments entfernt, der zweite näher und noch von Filamentresten umrankt, während der dritte, der Orionnebel-Haufen mitten im integralförmigen Filament, gerade noch im Wachsen begriffen ist.

Das Wechselspiel von Magnetfeldern und Schwerkraft ermöglicht bestimmte Arten von Instabilitäten, die zum Teil aus der Plasmaphysik bekannt sind und für die schnelle Entstehung eines Sternhaufens nach dem nächsten verantwortlich sein könnten. Allerdings ist bislang lediglich eine Hypothese, dass tatsächlich solche Instabilitäten hinter der schnellen Sternhaufenbildung stecken. Die Hypothese beruht auf Beobachtungsdaten für das integralförmige Filament, aber es handelt sich bei weitem (noch) nicht um ein ausgereiftes Modell für einen neuen Modus der Sternentstehung. Bis dahin müssten zum einen Theoretiker entsprechende Simulationen durchführen, zum anderen Astronomen weitere Beobachtungen vornehmen: zum einen des integralförmigen Filaments selbst, zum anderen von Kandidatenobjekten, in denen ähnliche Prozesse ablaufen könnten. Erst nach diesen Vorarbeiten wird sich herausstellen, ob die Orion-A-Molekülwolke ein Sonderfall ist oder ob die Geburt von Sternhaufen in einem Reigen magnetisch eingeschlossener Filamente der übliche Weg ist, wie in unserem Kosmos rasch ganze Haufen neuer Sterne entstehen.

Hintergrundinformationen

Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden veröffentlicht als Amelia M. Stutz und Andrew Gould, "Slingshot Mechanism in Orion: Kinematic Evidence For Ejection of Protostars by Filaments" in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics.

Weitere Abbildungen und Downloadbereich

[Zurück nach oben]

Download

Abbildung 1

Abbildung 2

Abbildung 3

Abbildung 4

[Zurück nach oben]

Ausführliche Informationen zur Meldung "Das versteckte Innenleben des Orionnebels: Tanzende Filamente und eine neuartige Möglichkeit der Sternentstehung"

In groben Zügen ist die Sternentstehung sehr einfach. Man nehme eine sehr kalte Wolke, bestehend aus Wasserstoffgas und etwas Staub. Regionen der Wolke, die hinreichend kalt sind, werden unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren und neue Sterne bilden.

Bei genauerer Betrachtung sieht die Situation deutlich komplizierter aus. Insbesondere scheint es zwei Arten der Sternentstehung zu geben. In gewöhnlichen, kleineren Molekülwolken entstehen nur einer oder ein paar Sterne, bis sich das Gas der Wolke über einen Zeitraum von rund 3 Millionen Jahren zerstreut hat. Größere Wolken leben rund zehn Mal länger und können einen anderen, deutlich spektakulären Modus der Sternentstehung aufweisen, in dem ganze Sternhaufen auf einmal entstehen, inklusive sehr massereicher Sterne.

Es gibt zwar eine Reihe von Vermutungen, aber keine umfassend getesteten Modelle für die Entstehung ganzer Sternhaufen und dafür, wie die entsprechenden Wolken in der astronomisch gesehen vergleichsweise kurzen Zeit von Millionen von Jahren eine so große Anzahl von Sternen erzeugen können. Die meisten Erklärungsansätze gehen von einer Art Kettenreaktion aus, in der die Entstehung der ersten Sterne in der Wolke die Entstehung weiterer Sterne auslöst. Als Auslöser kommen zum Beispiel die Supernovaexplosionen der massereichsten (und daher kurzlebigsten) gerade entstandenen Sterne infrage.

Ein Filament aus Gas und Staub

Jetzt haben Amelia M. Stutz und Andrew Gould vom Max-Planck-Institut für Astronomie einen alternativen Mechanismus für die Sternhaufen-Entstehung vorgeschlagen. Dabei spielen Magnetfelder in und um die Molekülwolke und dynamische Instabilitäten eine Rolle, und eines der bekanntesten Objekte des Nachthimmels: der Orionnebel, der selbst mit dem bloßen Auge als schwaches Nebelfleckchen am Himmel zu sehen ist und in Aufnahmen etwa des Weltraumteleskops Hubble, aber auch solchen von engagierten Amateurastronomen eine beeindruckende Farbenpracht entfaltet. Im Infrarotlicht betrachtet zeigt der Orionnebel allerdings noch ein ganz anderes Gesicht – und das hängt direkt mit dem neuen von Stutz und Gould vorgeschlagenen Sternentstehungsmechanismus zusammen.

Die Schlüsselrolle kommt dabei einer Karte der Staubverteilung in der Sternentstehungsregion Orion A zu, die Stutz und Jouni Kainulainen (ebenfalls vom MPIA) im Mai 2015 veröffentlicht haben. Die Karte basiert auf Beobachtungen der betreffenden Region mit dem Weltraumobservatorium Herschel im ferninfraroten Wellenlängenbereich zwischen 160 und 500 μm. Bei solchen Wellenlängen lässt sich die Wärmestrahlung des kalten Staubs nachweisen, der in Molekülwolken anzutreffen ist. Stutz nutzte diese Daten, um die Dichteverteilung des kalten Staubs in der betreffenden Region zu kartieren (genauer: die Säulendichte als zweidimensionale Projektion der Dichteverteilung auf die Himmelskugel).

Mit einer Entfernung von nur 1300 Lichtjahren ist Orion A das der Erde nächste Gebiet, in dem auch massereiche Sterne entstehen. Die auffälligste Struktur in dieser Region heißt integralförmiges Filament (integral-shaped filament, ISF), da seine Form einem langgestreckten Buchstaben S und damit dem Integralzeichen der Mathematiker ähnelt. Das Filament besteht aus Gas und Staub im Verhältnis von ca. 110 zu 1. Der Orionnebel, wie man ihn aus den berühmten Aufnahmen kennt, befindet sich im mittleren Abschnitt dieses Filaments.

Vereinfacht gesehen ist das integralförmige Filament wie ein langgestreckter, deformierter Zylinder geformt, dessen Durchmesser entlang seiner Länge etwas variiert. Wie sich der Durchmesser entlang des Filaments ändert, lässt sich aus den zweidimensionalen Infrarotbildern abschätzen. Der Durchmesser des Filaments beträgt ein paar Lichtjahre. Mithilfe von Spektrallinien für Kohlenstoff-13-Monoxid [insbesondere für den Übergang 13CO(2-1)] und anderen Linien, welche die Anwesenheit von Materie höherer Dichte anzeigen, lässt sich rekonstruieren, wie sich die Materie im Filament bewegt; solche Rekonstruktionen bestätigen das vereinfachte Bild der allgemeinen Struktur des Filaments.

Mithilfe solch eines vereinfachten Strukturmodells und der Herscheldaten konnten Stutz und Gould die Massenverteilung in dem Filament rekonstruieren, sowie das Gravitationspotential im Filament und in den umgebenden Raumgebieten. Wie zu erwarten hat das Filament eine Art besonders dichtes „Rückgrat“, das im Zentrum des Zylinders entlang läuft. Innerhalb und außerhalb des Filaments, bis hin zu Abständen von rund 25 Lichtjahren von dem zentralen Rückgrat, ändert sich die Dichte mit einem einfachen Potenzgesetz, nämlich mit r –1.6.

Das Filament im Griff der kosmischen Spirale

So weit, so gut. Aber als Stutz anschließend die Orte der Protosterne und der jungen Sterne in dem Filament zu bestimmen begann, war das Ergebnis durchaus überraschend. Die Protosterne benahmen sich genau so wie erwartet: sie fanden sich entlang des zentralen Rückgrats des Filaments, in der Region größter Dichte, also genau dort, wo man erwarten würde, dass es durch den Kollaps von Teilregionen der Wolke zur Bildung neuer Sterne kommt. Die jungen Sterne dagegen (Fachbegriff: Vor-Hauptreihensterne der Klasse II) fanden sich vornehmlich außerhalb des Filaments. Irgendetwas musste entweder das Filament oder eben die jungen Sterne beschleunigt haben, um die Trennung von beiden zu bewirken. Was war da geschehen? Was hatte die jungen Sterne hinausgeworfen, oder das Filament von den jungen Sternen wegschwenken lassen?

Ein wichtiger Teil der Erklärung ergibt sich aus einer anderen besonderen Eigenschaft des Filaments. Bereits 1997 hatte eine Analyse von Carl Heiles von der University of California at Berkeley auf der Basis von Untersuchungen der 21-cm-Linie atomaren Wasserstoffs gezeigt, dass das integralförmige Filament von einem Magnetfeld umgeben ist. Solch ein Magnetfeld bewirkt, dass sich die 21-cm-Linie in zwei Spektrallinien aufspaltet (sog. Zeeman-Effekt). Weitere Informationen über das Magnetfeld ergaben sich aus Untersuchungen der Polarisation des aus diesem Bereich empfangenen Lichts (Matthews & Wilson 2000).

Diese Beobachtungen sind gut mit einem spiralförmigen Magnetfeld vereinbar, dessen Feldlinien das Filament wie eine Art Sprungfeder einschließen. In der Filamentmaterie sind die Feldlinien verankert, weil sie mit dem geringen Anteil von ionisiertem, und daher elektrisch geladenen Anteil von Teilchen in dem Wasserstoffgas wechselwirken.

Ein störungsanfälliger Zustand

Im Vergleich der Magnetfeldmessungen mit ihrer Rekonstruktion des Gravitationspotentials fanden Stutz und Gould, dass magnetische und Schwerkrafteinflüsse auf das Filament ziemlich genau gleich groß sind. Direkt bei dem schmalen Filament ist die im Magnetfeld gespeicherte Energie gleich groß wie die Gravitations-Bindungsenergie. Um einen Abschnitt des Filaments um 3 Lichtjahre aus der Mitte der umgebenden Masseverteilung hochzuheben benötigt man ungefähr dieselbe Menge an Energie, wie sie in den Magnetfeldern des Filamentabschnitts gespeichert ist.

Unter diesen Umständen ist das Filament weit mehr als eine Staub- und Gasansammlung, zusammengehalten von der eigenen Schwerkraft. Es wird zu einer gigantischen, biegsamen Struktur, fast 100 Lichtjahre lang, die sich großräumig bewegen und oszillieren kann – und deren Regionen zum Teil auch instabil werden können! Diese Eigenschaften sind der Schlüssel nicht nur zu der Erklärung der vereinsamten jungen Sterne sondern könnten auch die rasche Entstehung ganzer Sternhaufen erklären, die in der Nähe des Filaments zu sehen sind.

Gravitation gegen Magnetismus

Ganz allgemein haben Magnetfelder in einer Molekülwolke eine stabilisierende Wirkung. Wird die Wolke samt ihrer magnetischen Feldlinien zusammengedrückt, dann rücken die Feldlinien dabei zusammen; das entspricht einem stärkeren Feld und damit auch einer höheren Menge an Energie, die im Magnetfeld gespeichert ist. Daraus ergibt sich ein magnetischer Druck, der jedem Zusammenziehen der Wolke entgegenwirkt. Das Gravitationsfeld wirkt natürlich in die Gegenrichtung und versucht, die Teilchen der Wolke zusammenzuziehen und so eine Kompression oder gar den Kollaps der Wolke herbeizuführen.

Für ein längliches Objekt wie das integralförmige Filament ist die Magnetfeldenergie stärker hin zur Mittelachse konzentriert als die Gravitationsfeldenergie. Innerhalb der innersten paar Lichtjahre vom Rückgrat der Wolke aus sind Magnet- und Schwerkrafteinflüsse fast gleich groß. Erst in größeren Abständen von der Wolke gewinnt die Gravitation die Oberhand.

In einer Situation, in der magnetische und Gravitationsenergie gleich oder so gut wie gleich sind, heben sich die Einflüsse dieser beiden Wechselwirkungen weitgehend auf. Unter solchen Bedingungen bewirken kleine Änderungen im Volumen der Wolke so gut wie keine Änderungen der Gesamtenergie der Wolke. Netto gibt es daher keinen Druck, oder keine Spannung, die solchen Änderungen entgegenwirkt. Das sind ideale Voraussetzungen für Schwankungen auf kleinen Skalen: Störungen und Fluktuationen, wie sie in der wirklichen Welt unvermeidbar sind, werden nicht unterdrückt, sondern können sich entlang des Filaments ausbreiten und sich zu großräumigen Schwingungen zusammenfinden, die das Filament als Ganzes in Bewegung setzen.

Eine bestimmte Art von Schwingung ist transversal, setzt Teile des Filaments also relativ zur Filamentachse seitwärts in Bewegung. Eine solche Seitwärtsbewegung wird allerdings durch die Gravitation der das Filament umgebenden Materieverteilung begrenzt: Entfernt sich das Filament zu weit von der Mittellinie der es umgebenden Materieverteilung, bekommt die Gravitation die Überhand und zieht das auf Abwege geratene Filamentsystem zurück in Richtung Mittellinie. Transversale Verformungen und der Einfluss der Gravitation können sich so zu einer hinreichend stabilen Schwingung des Filaments im Ganzen zusammenfinden.

Das Filament als Sternschleuder

Das bringt uns direkt zu der Erklärung, die Stutz und Gould für die verstoßenen jungen Sterne vorschlagen: Protosterne bilden sich entlang des Rückgrats des Filaments, wo Gas und Staub am dichtesten sind. Aber das Filament als ganzes schwingt hin und zurück, auf einer Zeitskala von rund 600 000 Jahren, Gas, Staub und Magnetfeld gleichermaßen in Bewegung, aneinander gekoppelt durch die Wechselwirkung des Magnetfelds mit den Ionen im Gas, die etwaige Bewegung wiederum durch gegenseitige Stöße an die anderen Gasteilchen und die Staubteilchen weitergeben. Solange der Protostern seinen Kollaps noch nicht vollendet hat, ist er leicht genug, um von der Filamentbewegung mitgeführt zu werden. Dementsprechend behalten Protosterne ihre Position im Rückgrat des Filaments bei. Das ändert sich, wenn der Kollaps abgeschlossen und ein kompakter junger Stern entstanden ist, der naturgemäß eine deutlich höhere Dichte besitzt. Ein solches Objekt können Kollisionen mit Gasteilchen der umgebenden Materie nicht einfach in Bewegung setzen. Dementsprechend wird es zurückgelassen, wenn das Filament seine Schwingung fortsetzt, oder allgemeiner: es fliegt mit derjenigen Geschwindigkeit weiter, die ihm das Filament vor der Entkopplung noch mitgeben konnte.

Das ergibt genau die Situation, wie sie die Beobachtungen der Orion-A-Region zeigen: mitgeführte Protosterne entlang des Rückgrats des Filaments und junge Sterne, die das Filament bei seiner Weiterbewegung zurückgelassen hat.

Eine auffällige Aufreihung von Sternhaufen

Das Bild von einem schwingenden Filament als gebundenes System von Gas und Staub, zusammengehalten von seiner Schwerkraft und stabilisiert durch seine Magnetfelder, hat aber noch eine weitere interessante Konsequenz. Die Hinweise darauf ergeben sich aus der Anordnung der Sternhaufen im Filament und in seiner Nachbarschaft. Von Norden nach Süden haben wir dabei zunächst einmal eine Lücke, die das integralförmige Filament von der nächsten großen Molekülwolke nördlich von ihr, genannt Orion B, trennt. Unterhalb von Orion B liegen aufgereiht drei Sternhaufen, jeweils in etwa gleich weit voneinander entfernt: NGC 1981, dann NGC 1977, beide noch in der Lücke, und dann der Orionnebel-Haufen (Orion Nebula Cluster, ONC) in der Mitte des integralförmigen Filaments. Noch weiter im Süden geht das Filament in den deutlich weiteren, ausgefransten Rest der Orion-A-Wolke über, der als L1641 bezeichnet wird.

Die räumliche Anordnung entspricht einer zeitlichen Reihenfolge: NGC 1981 ist rund 5 Millionen Jahre alt, und die massereichen, hellen Sterne darin hatten hinreichend Zeit, um Gasreste aus der Geburtsepoche des Sternhaufens zu zerstreuen. Mit einem Alter von zwei Millionen Jahren ist NGC 1977 deutlich jünger und enthält dementsprechend noch Gas und Staub aus der Zeit seiner Entstehung. Die hellen Sterne des Haufens regen das Wasserstoffgas zum Leuchten an und verleihen NGC 1977 eine farbenfrohes Erscheinungsbild. Der Orionnebel-Haufen ist noch jünger. Dort ist die Sternentstehung auch heute noch in vollem Gange.

Für Stutz und Gould zeigt diese Ordnung aufeinander folgende Episoden der Sternentstehung an: Ursprünglich hätten sich alle drei Regionen im Inneren des integralförmigen Filaments befunden, doch über Millionen Jahre hinweg hätten sich nacheinander, vom Norden angefangen, die drei Haufen gebildet. Jeder neu entstehende Haufen hätte dann das Gas und den Staub es Filaments in seiner Umgebung zerstreut. Für den ältesten noch sichtbaren Haufen, NGC 1981, ist dieser Prozess soweit fortgeschritten, dass es keinerlei Verbindung mehr mit dem heutigen Filament gibt. (Hätte es vor NGC 1981 Haufen gegeben, die sich noch früher gebildet hätten, dann dürften sich in der Zwischenzeit auch deren Sterne soweit zerstreut haben, dass sie in heutigen Beobachtungen nicht mehr nachweisbar wären.)

Im Westen von NGC 1977 existiert ein dünner Streifen von Gas und Staub, den Stutz und Gould das „Geisterfilament“ nennen. Diese Struktur scheint ein Überbleibsel der Entstehung von NGC 1977 zu sein, die ebenfalls im integralförmigen Filament stattgefunden haben dürfte. Der Orionnebel-Haufen dagegen liegt mitten im heute noch sichtbaren Filament, tut aber sein möglichstes, das Filament mit seinen zahlreichen frisch entstandenen hellen, massereichen Sternen von innen heraus zu zerstören.

Ein neuer Mechanismus für die Sternentstehung

Während dieser Entstehungssequenz scheint das Filament von Norden her immer weiter geschrumpft zu sein, als sich nacheinander die verschiedenen Sternhaufen bildeten. Stutz und Gould schlagen vor, dass diese Systematik eine direkte Konsequenz des Zusammenspiels der Magnetfelder und der Gravitation gewesen sein könnte, welche die einzelnen Abschnitte des Filaments nacheinander hat kollabieren lassen. Der genaue physikalische Ablauf dieses Prozesses ist noch unklar, obwohl es interessante Analogien zu sogenannten Pinch-Instabilitäten gibt, wie sie Physiker aus der Plasmaphysik kennen.

Magnetfelder verkomplizieren die physikalische Beschreibung einer Situation und werden in einfachen physikalischen Modellen für astronomische Phänomene oft vernachlässigt. Die Ergebnisse von Stutz und Gould legen nahe, dass dies zumindest im Falle der Entstehung ganzer Sternhaufen ein Fehler sein dürfte. Noch ist der von ihnen propagierte Mechanismus allerdings nur ein Vorschlag, kein bis ins Detail ausgearbeitetes physikalisches Modell. Wie geht es von hier aus weiter?

Als erstes sind die Theoretiker gefordert, die in der Lage sein sollten, Situationen in Sternentstehungsgebieten zu simulieren. Eine quantitative Erklärung der von Stutz und Gould rekonstruierten Verhältnisse in Orion A, inklusive einer Beschreibung, welche Art von Instabilität die Entstehung von Sternhaufen in Serie hervorruft, dürfte der wichtigste Schritt sein, um den vorgeschlagenen neuen Mechanismus zu etablieren.

Zukünftige Beobachtungen

Außerdem sind weitere Beobachtungen gefragt – angefangen beim Orionnebel-Haufen selbst, welchem wir derzeit ja gerade bei seiner Entstehung zusehen können. Das Modell von Stutz und Gould sagt vorher, dass die Protosterne in diesem Haufen eng entlang des Filament-Rückgrats entstehen sollten. Ein konkurrierendes Modell, der „kalte Kollaps“, postuliert dagegen zahlreiche Unter-Filamente, die auf das Rückgrat zulaufen und jeweils dicht genug sind, um neue Sterne entstehen zu lassen. Diesem Modell nach sollten die Protosterne nicht entlang des Rückgrats angeordnet sein, sondern eben entlang dieser Sub-Filamente, die ihrerseits auf das Rückgrat zu fallen.

Ungünstigerweise ist die Region des Orionnebel-Haufens in den verfügbaren Daten der Weltraumteleskope Herschel und Spitzer so hell, dass ihr Licht die Detektoren der Teleskope geradezu überwältigt: In den entsprechenden Bildern sind diese Regionen gesättigt, und es gibt keinerlei Möglichkeit, darin Gas, junge Sterne und Protosterne auseinanderzuhalten. Neue Beobachtungen mit dem ALMA-Observatorium, das auf Millimeter- und Submillimeter-Wellenlängen spezialisiert ist, könnten diese Regionen im Detail abbilden und so herausfinden, welche der unterschiedlichen Vorhersagen am besten mit den Beobachtungsdaten vereinbar ist.

Dann wäre da noch die Aufgabe, dieselben Prozesse in anderen astronomischen Objekten zu identifizieren. Welche Bedeutung der neu vorgeschlagene Entstehungsmechanismus hat hängt schließlich maßgeblich davon ab, wie häufig er vorkommt. Handelt es sich um die übliche Art und Weise, wie binnen kurzer Zeit viele und auch sehr massereiche Sterne entstehen? Oder laufen die entsprechenden Prozesse eher selten ab, unter ganz besonderen Bedingungen, die in der Orion-A-Wolke zu finden sind, aber so gut wie nirgends sonst? In letzterem Falle wäre der neue Mechanismus für die große Frage, wie Galaxien ganz allgemein neue Sterne bilden, nur von sehr untergeordneter Bedeutung.

Ein geeignetes Beobachtungsobjekt für diesen Zweck ist die Sternentstehungsregion NGC 1333 im Sternbild Perseus, die der Orion-A-Wolke in einiger Hinsicht recht ähnlich ist. Die Molekülwolke Cepheus OB3, 2300 Lichtjahre entfernt im Sternbild Cepheus, ist ein noch aussichtsreicherer Kandidat. Ihre Morphologie weist sowohl interessante Filamentstrukturen als auch, in diesem Zusammenhang besonders wichtig, eine Reihe von Sternhaufen in unmittelbarer Nähe der Filamente auf.

Um den Mechanismus zu testen, den Stutz und Gould vorgeschlagen haben, sind detaillierte Studien des dichten Gases und seiner Bewegung sowie der Protosterne und jungen Sterne in und um diese Filamente nötig. Einige der erforderlichen Daten gibt es bereits in den Archiven des inzwischen außer Dienst gestellten Weltraumobservatoriums Herschel. Andere Daten, etwa zur genauen Lokalisierung der Protosterne und zur großräumigen Kartierung der Gasbewegungen in den Cepheus-OB3-Wolken müssen noch aufgenommen werden – wiederum mit dem ALMA-Observatorium. Liegen diese Daten vor, dann sollten Stutz und Gould entscheiden können, ob die Orion-A-Molekülwolke ein Sonderfall ist oder ob die Geburt von Sternhaufen in einem Reigen magnetisch eingeschlossener Filamente der übliche Weg ist, wie in unserem Kosmos rasch ganze Haufen neuer Sterne entstehen.

[Zurück zum Anfang]

Zur Redakteursansicht