ISO schrieb ein neues Kapitel der astronomischen Forschung

Die Europäischen Astronomen feiern die tausendste wissenschaftliche Publikation mit Daten des europäischen Infrarot-Satelliten ISO

29. Juli 2003

Ganze 29 Monate – vom Dezember 1995 bis Mai 1998 – dauerte die aktive Beobachtungsphase des europäischen Infrarotsatelliten ISO. Und sie hat sich gelohnt: Tausend auf Beobachtungen von ISO beruhende Arbeiten sind bis heute erschienen, und die Zahl der jährlichen Veröffentlichungen nimmt weiterhin zu. Nach wie vor nutzen die Forscher weltweit intensiv das einmalige und umfassende Datenarchiv, das erst 40 % seiner Geheimnisse preisgegeben hat. Dabei entstanden rund 500 wissenschaftliche Arbeiten mit den archivierten Daten erst nach dem Abschalten des Satelliten. Diese außerordentlich ergiebige »Archivastronomie« ist erst seit der Verfügbarkeit großer und schnell zugänglicher Datenbanken möglich geworden und wird in der Zukunft zu »virtuellen Observatorien« führen.

Ein Weltraum-Observatorium für den kalten Kosmos
ISO ist das erste Infrarot-Weltraum-Observatorium. Mit bis dahin unerreichter Empfindlichkeit registrierte es die Wärmestrahlung bei Wellenlängen, bei denen die kälteste Materie strahlt: bis hinab zu Temperaturen von –260 °C und darunter. Diese Strahlung ist vom Erdboden aus nicht beobachtbar, weil sie die Lufthülle nicht durchdringen kann. Mit ISO erhielten die Forscher neuartige Informationen von Himmelskörpern aller Art, von den Planeten und Kometen unseres Sonnensystems über die dichten Gas- und Staub-Wolken der Milchstraße, in denen noch heute neue Sterne entstehen, bis zu den Galaxien und Quasaren am Rande der Welt. Letztere besitzen zwar einen heißen Kern, aber ihre kalten Staub-Hüllen strahlen (wie wir heute dank ISO wissen) die meiste Energie ab.

ISO hatte ein Teleskop mit 60 Zentimeter Öffnung an Bord, das die Strahlung der Himmelskörper einfing. Es war mit superflüssigem Helium bis auf –270°C (dicht über dem absoluten Temperatur-Nullpunkt) gekühlt, um selbst keine Infrarot-Strahlung auszusenden. Vier höchst komplexe Messinstrumente konnten wahlweise diese Strahlung analysieren, dabei wurden sie von den Wissenschaftlern am Boden ferngesteuert. Zwei dieser Instrumente waren an deutschen Instituten entwickelt worden. Für die Ferninfrarot-Kamera ISOPHOT war das Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg verantwortlich: Es registrierte die Infrarotstrahlung in zahlreichen Teilbereichen des gesamten Infrarotbereichs. Und der Spektrograph SWS entstand am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching gemeinsam mit einem niederländischen Institut. Mit diesem Gerät ließen sich die spektralen »Fingerabdrücke» der chemischen Stoffe im Kosmos untersuchen – daraus ergibt sich z.B. der Aufbau der Gasmoleküle oder der festen Staubteilchen in den kalten interstellaren Wolken.



Der kosmische Kreislauf der Materie
Die ISO-Beobachtungen haben uns den Lebensweg des interstellaren Staubes von seiner Entstehung in den expandierenden Hüllen alternder Sterne und Supernovae, über seine Ansammlung in den kalten interstellaren Molekülwolken, bis zur Bildung neuer Sterne und Planetensysteme in den dichtesten Partien dieser Wolken gezeigt. Dort wurden etliche Moleküle entdeckt – wie Wasser oder Kohlendioxid –, die als Eisteilchen ausfrieren und darüber hinaus komplexe organische Moleküle stabile Konfigurationen einnehmen. Wasser wurde nahezu überall in der Milchstraße gefunden. Ruß-ähnliche Partikel (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) scheinen besonders stabil zu sein: Sie wurden im gesamten beobachtbaren Universum gefunden, im kalten fast leeren Raum zwischen den Sternen als auch dicht bei heißen Sternen. Die frühesten Stadien der Bildung neuer Sterne in den kältesten Molekülwolken wurden erstmals mit ISO beobachtet und die dort ablaufenden chemischen Prozesse konnten untersucht werden. So entstand ein neuer Forschungszweig, die Astrochemie und Astromineralogie: Schnell wurde deutlich, dass die Bedingungen in nahen Sternentstehungsgebieten und in fernen Galaxien sich in vieler Hinsicht erstaunlich ähnlich sind.



Aktive Galaxien und Quasare
Hundert Quasare und Aktive Galaxien wurden bisher im Detail mit ISO untersucht. Dabei ergab sich die fundamentale Erkenntnis, dass die Vielfalt der Erscheinungsformen dieser Objekte, der wir im optischen und im Radio-Bereich begegnen, nur durch den speziellen Blickwinkel bedingt ist, unter dem sie uns erscheinen. In Wahrheit lassen sie sich alle zurückführen auf eine Konfiguration: Ein gigantisches Schwarzes Loch im Zentrum des Quasars oder der Aktiven Galaxie ist von einem dichten Ring aus Staub und Gas umgeben, dessen Materie während spezieller Entwicklungsphasen auf das Schwarze Loch hinabstürzt. Die dabei freigesetzte Gravitationsenergie wird in die gewaltige Leuchtkraft dieser Objekte umgesetzt.

Die kalte Welt der Galaxien
Mit ISO wurden 2000 Galaxien in ganz unterschiedlichen Entwicklungszuständen untersucht. Diese Beobachtungen haben unter anderem geklärt, welche wichtige Rolle die Zusammenstöße der Galaxien miteinander für ihre Entwicklung im jungen Universum gespielt haben. Offenbar sind zunächst kleine Ansammlungen von Sternen und interstellarer Materie entstanden. Die großen Spiralgalaxien wie der Andromeda-Nebel oder unser Milchstraßensystem haben sich erst im Laufe der Jahrmilliarden durch die Verschmelzung der kleineren Systeme gebildet. Treffen zwei dieser großen Spiralgalaxien aufeinander, so kann es zur Bildung einer Elliptischen Galaxie kommen. ISO konnte zeigen, dass auch solche bisher als staubfrei angesehenen Sternsysteme keineswegs staubfrei sind. In normalen Spiralgalaxien, wie im Andromeda-nebel und in unserer Milchstraße, wurden überall erheblich größere Mengen an interstellarem Staub entdeckt, die sich wegen ihrer niedrigen Temperatur den bisherigen Messungen entzogen.



ISO zwischen gestern und morgen
In der rasanten Technologischen Entwicklung, die gegenwärtig in der Infrarotastronomie und in der Weltraumforschung stattfindet, stellt ISO in vielfacher Hinsicht einen Meilenstein dar. Neuartige, »gedrückte« Germanium-Gallium-Detektoren kamen zum Einsatz, mit denen die Kameras sogar noch bei 200 Mikrometer Wellenlänge empfindlich waren und damit die kälteste Materie im Kosmos (-265°C) beobachten konnten. Wesentliche, oft und schnell per Fernsteuerung bewegte optisch-mechanische Teile der Instrumente und Detektorsysteme an Bord wurden mit den mitgeführten anfänglich 2300 Litern flüssigen Heliums fast auf den absoluten Nullpunkt gekühlt – das hat zur Entwicklung von hocheffizienten und zuverlässigen Antrieben und Messeinrichtungen für das Kryovakuum geführt. Das Observatorium konnte ohne jeden Ausfall 29 Monate lang (statt der erhofften 18) betrieben werden, bis die Reserven an flüssigem Helium erschöpft waren.

Heute, während die Auswertung der ISO-Daten noch voll im Gange ist, setzen die Astronomen und Techniker ihre mit ISO gesammelten Erfahrungen bei der Entwicklung neuer internationaler Projekte ein. Für das 3.6-m-Infrarot-Teleskop HERSCHEL der ESA, das im Jahre 2007 auf seine Umlaufbahn gebracht werden soll, wird an den Max-Planck-Instituten für extraterrestrische Physik in Garching und für Astronomie in Heidelberg die Kamera PACS entwickelt. Für die Instrumente des 6.5-m-James-Webb-Teleskop, das als Nachfolger des HUBBLE-Weltraumteleskops im Jahre 2011 im Lagrangepunkt L2 (in 1.5 Mio km Abstand von der Erde) zum Einsatz kommen wird, entstehen am MPI für Astronomie in Heidelberg wichtige optisch-mechanische Systeme.

Die Vorgeschichte in Heidelberg und in Garching

Die maßgebliche Beteiligung der Astronomen und Techniker in Heidelberg und Garching am ISO-Projekt kam nicht von ungefähr. Die ersten Schritte in der Infrarotastronomie wurden an der Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl bereits in den Sechziger Jahren unter der Leitung von Hans Elsässer getan, als dieses Gebiet noch weltweit praktisch unerforscht war. Nach ersten Experimenten am 70-cm-Teleskop auf dem Königstuhl begann am neu gegründeten MPI für Astronomie unter der Leitung von Dietrich Lemke zunächst die »Weltraumforschung des kleinen Mannes«: Das teilweise in der eigenen Werkstatt gebaute UV- und Infrarotteleskop THISBE wurde von einem Helium-gefüllten Ballon in die Stratosphäre, oberhalb des größten Teils der Erdatmosphäre, getragen. Dort wurde wertvolles technologisches Know-how gesammelt, und es gelang von dort aus unter Anderem die Kartierung von Teilen der der Milchstraße im Infraroten. Dietrich Lemke hat später die Leitung des ISOPHOT-Experiments übernommen und ist heute für alle Beteiligungen des MPI für Astronomie an internationalen Weltraumprojekten verantwortlich. Das Know-how der Techniker auf dem Königstuhl und das ISOPHOT-Datenarchiv ziehen Gastwissenschaftler aus aller Welt an: Der Königstuhl ist fest in ein weitgespanntes Netz internationaler Kollaborationen eingebunden.



In Garching hat man sich seit ähnlich langer Zeit auf das von hohen, trockenen Bergen und von hochfliegenden Flugzeugen aus zugängliche Infrarot konzentriert. Der Schwerpunkt lag in der Entwicklung immer leistungsfähigerer Infrarotkameras, die an den Großteleskopen der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile zum Einsatz kamen. Die besondere Stärke dieser Messinstrumente lag in ihrem immer höheren räumlichen Auflösungsvermögen: Damit gelang den Garchinger Astronomen um Rainer Genzel erst kürzlich die zweifelsfreie Identifizierung des massereichen Schwarzen Loches im Zentrum unserer Galaxis.

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