GEMS – Die Geschichte des Kosmos

14. Januar 2004

Auf dem größten, mit dem Weltraumteleskop Hubble aufgenommenen Bild ist die Geschichte des Kosmos dargestellt.

Das größte mit dem Weltraumteleskop HUBBLE gewonnene Farbbild wurde neulich auf der Tagung der American Astronomical Society in Atlanta vorgestellt. Dr. Eric F. Bell vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und Dr. Shardha Jogee vom Space Telescope Science Institute in Baltimore zeigten das Bild eines vollmondgroßen Himmelsausschnitts im Sternbild Fornax auf der südlichen Hemisphäre, auf dem mehr als 40000 Galaxien zu sehen sind.

Das Bild ist ein Mosaik, zusammengesetzt aus 78 mit der Advanced Camera for Surveys gewonnenen Einzelaufnahmen. Die beiden Astronomen gehören zum internationalen Konsortium GEMS, das von Prof. Hans-Walter Rix, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie, geleitet wird. Sie erklärten, was sich aus der in diesem Bild enthaltenen Information über die Entwicklung großer, unserem Milchstraßensystem ähnlicher Galaxien während der letzten 9 Milliarden Jahre (etwa 2/3 des Alters des Universums) lernen lässt. GEMS steht für »Galaxy Evolution from Morphology and Spectral Energy Distributions«.

Die Größe dieses Bildes ist für die zu gewinnenden Erkenntnisse wesentlich. Die Galaxien sind nicht gleichmäßig über den Himmel verteilt: Sie bilden im Weltraum Haufen und Ketten. Deshalb können kleinere Himmelsausschnitte zufällige, untypische Merkmale aufweisen. Zum Vergleich: Auf Nachtaufnahmen erscheinen die Ballungsgebiete in ganz Europa hell erleuchtet, Ackerland, Wälder, Berge und Seen dagegen dunkel. Um zu verstehen, wie die Bevölkerung über Europa verteilt ist, muss man ein hinreichend großes Gebiet untersuchen, in dem sowohl dunkle, dünn besiedelte Areale vorkommen, als auch hell erleuchtete Areale, in denen die großen, dicht besiedelten Städte liegen.

Auch gibt es am Himmel, ähnlich wie bei den Menschen, ganz unterschiedliche Galaxien. Nur, wer eine Vielzahl von Größen und Formen untersucht, kann die ganze Bandbreite der möglichen Typen erfassen und kurze, heftige Phasen ihrer Entwicklung entdecken.

Für GEMS wurde ein Himmelsareal ausgewählt, in dem aufgrund einer vorangehenden, in Heidelberg und Oxford durchgeführten Studie die Entfernung von annähernd zehntausend einzelnen Galaxien bestimmt worden war. Weil das Universum expandiert, entfernen sich die Galaxien umso schneller von uns, je größer ihr Abstand von uns ist. Aufgrund des Doppler-Effekts lässt sich aus den Spektren der Galaxien deren Fluchtgeschwindigkeit und damit deren Entfernung ableiten. Und weil die Lichtgeschwindigkeit endlich ist, sehen wir die ferneren Galaxien in einem früheren Stadium als die näheren. Mit Hilfe dieser »Zeitmaschine« schauen wir auf dem GEMS-Bild bis zu 9 Milliarden Jahre in die Vergangenheit zurück, das sind bis zu 4,5 Milliarden Jahre vor der Entstehung der Sonne und der Erde.

Dr. Christian Wolf (University of Oxford) und Dr. Klaus Meisenheimer (Max-Planck-Institut für Astronomie) hatten zusammen mit ihren Kollegen innerhalb des GEMS-Feldes die Entfernung von etwa 10000 Galaxien mit einer Genauigkeit von wenigen Prozent bestimmt. Dieser einmalige Datensatz in Verbindung mit der exzellenten Qualität der HUBBLE-Bilder ermöglicht es nun, zu untersuchen, wie sich die Größen, Formen und Strukturen der Galaxien im Laufe der letzten 9 Milliarden Jahre entwickelt haben. Zum Beispiel: Wie kam es zur Ausbildung von Balkenstrukturen in den Spiralgalaxien? Die »Balken« sind längliche Verdichtungen in der zentralen Verteilung der Sterne in den Galaxien. Sie beeinflussen die Dynamik des interstellaren Gases, treiben es in den zentralen Bereich und können damit spektakuläre Ausbrüche von Sternbildung auslösen. Heute gibt es diese Balkenstrukturen in den meisten Spiralgalaxien, einschließlich unseres eigenen Milchstraßensystems. Aber wenig ist darüber bekannt, wann und wie sie entstanden sind.

Eines der Ziele des GEMS-Projekts ist es, zu untersuchen, wie die Wechselwirkung der Galaxien deren spätere Entwicklung beeinflusst hat. Wechselwirkende Galaxien üben starke Gravitationskräfte aufeinander aus, die zu gravierenden morphologischen Veränderungen führen können, einschließlich der vollständigen Verschmelzung der wechselwirkenden Partner zu einem neuen, gänzlich anders strukturierten Objekt. Auf dem GEMS-Bild sind einige wechselwirkende und verschmelzende Galaxien in allen Epochen bis zurück in die Zeit vor 9 Milliarden Jahren zu erkennen. Aus den beobachteten, manchmal bizarren Formen, wie doppelten Galaxienkernen, tausenden von Lichtjahren langen Gezeitenschwänzen aus unzähligen aus den Galaxien herausgeschleuderten Sternen und extrem exzentrischen Sternentstehungsgebieten, lässt sich die innere Dynamik der beteiligten Systeme rekonstruieren.

Die gravitativen Wechselwirkungen können auch mächtige Ströme interstellaren Gases in die massereichen Schwarzen Löcher kanalisieren, die in den Zentren der Galaxien liegen, und damit heftige Aktivitätsphasen in den galaktischen Kernregionen auslösen. Aus GEMS wird man viel lernen können über die Struktur solcher aktiven Galaxien und über die Häufigkeit der Wechselwirkungen während der verschiedenen Epochen der Galaxien-Entwicklung. Es scheint so zu sein, dass die Wechselwirkungen in der Frühzeit des Universums wesentlich häufiger vorkamen als heute. »Heute werden die meisten massereichen Galaxien einfach älter, sie verblassen langsam, bis sie eines Tages in der Dunkelheit verschwinden werden,« sagt Hans-Walter Rix.

Unter anderem zeigt das GEMS-Bild auch, dass der Anteil der elliptischen Galaxien heute deutlich höher ist als in der Vergangenheit. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass zumindest ein Teil der Elliptischen Galaxien aus der Verschmelzung massereicher Spiralgalaxien entstanden ist.


An dieser Studie sind beteiligt:

  • Eric F. Bell, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
  • Shardha Jogee, Space Telescope Science Institute, Baltimore
  • Hans-Walter Rix, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
  • Marco Barden, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
  • Steven V. W. Beckwith, Space Telescope Science Institute, Baltimore
  • Andrea Borch, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
  • John A. R. Caldwell, Space Telescope Science Institute, Baltimore
  • Boris Häußler, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
  • Knud Jahnke, Astrophysikalisches Institut Potsdam
  • Daniel H. McIntosh, Astronomy Department, University of Massachusetts
  • Klaus Meisenheimer, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
  • Chien Y. Peng, Steward Observatory, University of Arizona
  • Sebastian F. Sanchez, Astrophysikalisches Institut Potsdam
  • Rachel S. Somerville, Space Telescope Science Institute, somerville@stsci.edu
  • Lutz Wisotzki, Astrophysikalisches Institut Potsdam
  • Christian Wolf, Astrophysics Department, University of Oxford


Das GEMS-Projekt beruht auf Beobachtungen, die mit dem Weltraumteleskop Hubble der NASA/ESA gewonnen wurden. Es wird auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, dem European Union Human Potential Program, der National Science Foundation und der NASA gefördert.





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