Astronomen entdecken ungewöhnliche spindelförmige Galaxien

12. Oktober 2017
Galaxien als majestätische, rotierende Sternscheiben? Nicht bei den spindelförmigen Galaxien, die von Athanasia Tsatsi (Max-Planck-Institut für Astronomie) und ihren Kollegen untersucht wurden. Mit Hilfe der CALIFA-Durchmusterung fanden die Astronomen heraus, dass diese schlanken Galaxien, die sich um ihre Längsachse drehen, weitaus häufiger sind als bisher angenommen. Mit den neuen Daten konnten die Astronomen außerdem ein Modell dafür entwickeln, wie die spindelförmigen Galaxien aus einer speziellen Art von Verschmelzung zweier Spiralgalaxien entstehen. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht.

Ausführliche Beschreibung: Astronomen entdecken ungewöhnliche spindelförmige Galaxien

Wenn die meisten Menschen an Galaxien denken, denken sie an majestätische Spiralgalaxien wie die unserer Heimatgalaxie, die Milchstraße: Milliarden Sterne, die sich in einer flachen Scheibe drehen, ähnlich wie ein Rad sich um seine Achse dreht. Doch obwohl solche Scheibengalaxien in der Tat weit verbreitet sind und etwa 70 % aller bekannten Galaxien im nahen Universum ausmachen, sind einige GAlaxien völlig anders. Vor allem in so genannten elliptischen Galaxien sind die Sternenbahnen deutlich ungeordneter. Stellt man die Sternenbahnen in einer elliptischen Galaxie bildlich dar, dann ähnelt das Ergebnis dem äußeren Erscheinungsbild eines Wollknäuels, mit zahllosen unterschiedlich ausgerichteten Umlaufbahnen.

Dennoch folgt diese Vielzahl von Umlaufbahnen zumindest für die meisten elliptischen Galaxien einem allgemein bekannten Trend: Die überwiegende Mehrheit dieser Galaxien ist senkrecht zur Rotationsachse abgeflacht. In diesen Fällen besteht zumindest eine gewisse Verwandtschaft mit der geordneten Rotation von Scheibengalaxien.

Spindelförmige Galaxien

Doch nun hat eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Athanasia Tsatsi vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) acht ungewöhnliche Galaxien gefunden, deren Form eher einer Zigarre ähnelt und die um ihre Längsachsen rotieren wie kosmische Spindeln. In der Mathematik sind die entsprechenden langgestreckten Formen als verlängerte Ellipsoide oder prolate Ellipsoide bekannt. Die Astronomen wussten schon seit einiger Zeit um die Existenz solcher "prolaten Rotatoren", hatten sie aber als vergleichsweise selten angesehen. Mit den neuen Beobachtungen, die im Rahmen der CALIFA-Galaxienerhebung durchgeführt wurden, hat sich die Zahl der bekannten prolaten Rotatoren fast verdoppelt, von 12 auf 20. Offenbar kommt diese Art von Galaxien weitaus häufiger vor als bisher angenommen. Fast 1/10 der elliptischen Galaxien scheinen kosmische Spindeln zu sein. Unter den massereichsten elliptischen Galaxien liegt der Anteil noch höher: jede Dritte davon ist eine kosmische Spindel!

Für sechs der prolaten Rotatoren, die bereits vor der jetzt veröffentlichten Studie bekannt waren, lagen bereits Beobachtungen mit sogenannter Integralfeldspektroskopie (IFS) vor. Eine IFS-Beobachtung liefert Spektren zahlreicher verschiedener Teile der Galaxie, die weit mehr Informationen enthalten als das Gesamtspektrum einer Galaxie. Das Spektrum eines Sterns - die regenbogenartige Aufspaltung des Sternenlichts in eine Vielzahl unterschiedlicher Farben, entsprechend vielen getrennten Wellenlängenbereichen weist deutlich sichtbare, schmale dunkle Linien auf, sogenannte Absorptionslinien; für einige Sterne gibt es auch helle Linien, sogenannte Emissionslinien.

Vom Spektrum zum Bewegungsmuster

Bewegt sich ein Stern auf uns zu, dann werden seine Linien aufgrund des sogenannten Dopplereffekts in Richtung kleinerer Wellenlängen verschoben ("Blueshift"); bewegt er sich von uns weg, dann in Richtung längerer Wellenlängen ("Rotverschiebung"). Stammt das Licht eines Spektrum aus einer größeren Region innerhalb einer Galaxie, in der sich viele tausend Sterne befinden, dann sind die Linien sowohl verschoben (entsprechend der Gesamtbewegung dieser Region zu uns hin oder von uns weg) als auch verbreitert (da die Region sowohl Sterne enthält, die sich zu uns hin bewegen als auch solche, die sich von uns fort bewegen). 

Auf diese Weise enthält ein mithilfe IFS aufgenommenes Spektrum Informationen über die Bewegungsmuster innerhalb der Galaxie. Die Astronomen interpretieren diese Informationen, indem sie eine Vielzahl möglicher Sternbewegungen in einer solchen Galaxie simulieren und anschließend im direkten Vergleich herausfinden, welches Bewegungsmuster am besten zu den Beobachtungsdaten passt. 

Seltene Spindeln?

Unter den Tausenden von Galaxien, die Astronomen in den letzten 60 Jahren untersucht haben, sind nur 12 kosmische Spindeln, von denen wiederum nur sechs mit Integralfeldspektroskopie untersucht wurden. Solche Galaxien galten als sehr seltene Objekte; die Beobachtungsdaten waren entsprechend begrenzt und lieferten keine klaren Hinweise darauf, wie diese Art von Galaxien entstanden sein könnte.

Das war die Situation zu Beginn der CALIFA-Durchmusterung, die ab 2010 am Calar Alto Observatorium in Spanien durchgeführt wurde. CALIFA verwendet das IFS-Instrument PMAS des 3,5 Meter-Teleskops des Calar-Alto-Observatoriums. PMAS nutzt 350 Glasfasern, um Licht aus 350 Regionen des betrachteten Bildes auf einen Spektrographen zu leiten. Für die CALIFA-Durchmusterung wurden mehr als 600 Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft beobachtet, die zwischen 70 und 400 Millionen Lichtjahren von uns entfernt sind. In der Stichprobe sind Galaxien jeglichen Typs enthalten, von elliptischen Galaxien bis zu majestätischen Spiralgalaxien, ähnlich unserer eigenen Milchstraße und der Andromeda-Galaxie. Das Ergebnis war ein reichhaltiger und detaillierter Datensatz zur Struktur und den Bewegungsmuster zahlreicher Galaxien.

In diesem Datensatz fanden Tsatsi und ihre Kollegen die acht neuen kosmischen Spindeln. Auch für eine bereits vorher bekannte kosmische Spindel lieferte CALIFA genauere Daten; eine weitere Galaxie in der Stichprobe war bereits als Kandidat für prolate Rotation gehandelt worden. Damit standen für insgesamt zehn solcher Galaxien hochwertige IFS-Daten zur Verfügung standen, die einen Einblick in die stellaren Bewegungsmuster ermöglichten. Mit der Kombination aus neuen und alten Daten konnten sich die Forscher der Frage widmen, wie diese ungewöhnlichen Bewegungsmuster überhaupt zustande kommen.

Verschmelzende Galaxien

Allgemein gilt den heutigen Entwicklungsmodellen zufolge: Galaxien entwickeln sich im Laufe der Zeit zu immer größeren und massereicheren Galaxien, indem sie mit anderen Galaxien zusammenstoßen und verschmelzen. Scheibengalaxien wie unsere eigene Milchstraße beispielsweise wachsen, indem sie wiederholt mit deutlich kleineren Galaxien verschmelzen und so über Milliarden von Jahren immer mehr Masse ansammeln. Ihre spiralförmige Struktur, ein schwingendes Dichtemuster in der galaktischen Scheibe, geht auf Störungen zurück, die durch solche wiederholten Begegnungen mit kleineren Galaxien hervorgerufen werden. Dasselbe gilt für die in einigen Galaxien beobachtbaren Balken: langgestreckte Strukturen in den zentralen Regionen dieser Galaxien, aus denen die Spiralarme hervorgehen.

Stoßen dagegen zwei bereits große und massereiche Galaxien zusammen, dann entsteht eine elliptische Galaxie, die keine klare Scheibenstruktur mehr aufweist. Ist in den kollidierenden Galaxien genügend Gas vorhanden, dann überträgt sich der Drehschwung der sich umkreisenden Galaxien ("Erhaltung des Drehimpulses") so auf die verschmolzene Galaxie, dass eine flache, rotierende elliptische Galaxie entsteht (also gerade keine kosmische Spindel). 

Verschmelzung gasarmer Galaxien

Viel interessanter ist für Tsatsi und ihre Kollegen der Fall von verschmelzenden Galaxien, die so gut wie kein Gas enthalten. Bei diesen "trockenen Verschmelzungen"vereinheitlichen sich die Sternumlaufbahnen nicht, sondern es entstehen viele individuell unterschiedliche Umlaufbahnen. 

Mit Hilfe von Jiang Chang, einem ehemaligen Doktoranden am Max-Planck-Institut für Astronomie der jetzt am Purple Mountain Observatory in China forscht, simulierte die Gruppe solche trockenen Verschmelzungen und suchte nach Ergebnissen, die dem Bewegungsmuster der beobachteten kosmischen Spindeln ähneln. Die Suche war erfolgreich und führt auf einen Mechanismus, der polare Verschmelzung genannt wird.

Ausgangspunkt sind dabei zwei Scheibengalaxien, deren Scheiben im rechten Winkel zueinander stehen. Eine der Scheiben liegt in der Ebene, in der die Galaxien einander umkreisen, bevor sie verschmelzen. Während sich die beiden Scheibengalaxien anfänglich sehr ähnlich sein können, hat die Verschmelzung für jede davon unterschiedliche Folgen. Die Galaxie, deren Scheibe in der Umkreisungs-Ebene liegt, bildet in ihrer Zentralregion einen deutlichen Balken aus, während die Galaxie, deren Scheibe im rechten Winkel zur Umkreisungs-Ebene liegt, weitgehend ungestört bleibt. Während die Galaxien verschmelzen, legt die Balkenform den Grundstein für die zigarrenartigen Gesamtform der resultierenden Galaxie, während die ungestörte Scheibe die Sternbewegung um die Längsachse hervorruft.

Der Vergleich mit den Daten ergab, dass die kosmischen Spindeln sich vor etwa 10 Milliarden Jahren, als das Universum noch nicht einmal halb so alt war wie heute, auf diese Weise gebildet haben dürften. Das auffälligste Beispiel für eine kosmische Spindel ergab sich, wenn die sich verschmelzenden Galaxien fast reine Scheibengalaxien waren, ohne einen zentralen "Bulge", eine rundere Region älterer Sterne, deren Bahnen sie deutlich unterhalb oder oberhalb der Rotationsebene tragen.

Dieses Entstehungsszenario könnte den ungewöhnlichen, aber nicht allzu seltenen Galaxietyp der kosmischen Spindeln erklären. Nachdem Tsatsis Forscherteam alle Informationen aus den CALIFA-Daten genutzt hat, sind nun wieder die beobachtenden Astronomen am Zug: Aus den Verschmelzungs-Simulationen ergeben sich noch weitere Vorhersagen für die detaillierten Eigenschaften der kosmischen Spindeln. Diese lassen sich anhand der aktuellen Beobachtungen nicht überprüfen, sollten aber mit Instrumenten wie MUSE, dem Multi Unit Spectral Explorer am Very Large Telescope der ESO, einem 8-Meter-Teleskop am Paranal Observatorium in Chile, nachweisbar sein.

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