Sternentstehung weit außerhalb der Galaxien

23. April 2008

Aufnahmen von der Spiralgalaxie M 83, die kürzlich mit dem UV-Satelliten GALEXder Nasa gewonnen wurden, offenbaren eine immense Anzahl junger Sterne in großen Entfernungen, bis zum siebenfachen Radius der im Sichtbaren leuchtenden Galaxie. Dieses unerwartete Ergebnis eröffnet eine neue Sicht auf die Entstehung von Sternen in außergewöhnlichen Umgebungen.

Ein internationales Team unter der Leitung von Frank Bigiel vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg hat diese neuen Beobachtugen durchgeführt. Wie kam es dazu, und was können die Astronomen daraus lernen?

Spiralgalaxien, auf die wir »von oben« schauen, präsentieren sich im sichtbaren Licht als ziemlich scharf umrissene, von zwei oder mehreren wohlgeordneten Spiralarmen durchzogene stellare Scheiben. Ein besonders schönes Beispiel ist Messier 83. Die Balkenspirale steht am Südhimmel im Sternbild Schlange, ist 15 Millionen Lichtjahre von uns entfernt und wird von etlichen Zwerggalaxien begleitet.

In den Spiralarmen verdichten sich das Gas und der Staub der interstellaren Materie – sie bildet immer wieder Wolken, die  bald instabil werden, in sich zusammen fallen und damit neue Sterne entstehen lassen, zu denen auch die heißesten, besonders kurzlebigen gehören.


Gas außerhalb der Galaxien
Allerdings gibt es diffuse Materie auch außerhalb der eigentlichen Galaxien, zum Beispiel zwischen Galaxien, die in Gruppen vorkommen, wie eben M 83. Vermutlich haben eine oder mehrere Zwerggalaxien während naher Vorübergänge bei M 83 mit ihren Gezeitenkräften interstellare Materie aus der Spiralgalaxie in ihrer weiteren Umgebung verteilt.

Der neutrale Wasserstoff innerhalb etlicher naher Galaxien und in deren Umgebung (darunter auch in und um M 83) wurde kürzlich unter der Leitung von Fabian Walter, einem Astronomen des MPIA, im Rahmen des Projekts THINGS mit besonders hoher Empfindlichkeit und räumlicher Auflösung kartiert. Dazu wurde die Verteilung der Radioemission des Wasserstoffs bei 21 Zentimeter Wellenläge mit dem Very Large Array (VLA) in Socorro (New Mexico) vermessen.

Können aus dem diffusen Gas, das sich außerhalb des eigentlichen Galaxienkörpers befindet, neue Sterne entstehen? Diese Vorstellung war den Astronomen bis vor kurzer Zeit fremd. Aber seit einigen Jahren ist bekannt, dass etwa 20 Prozent aller Spiralgalaxien in weitaus größere »ausgedehnte ultraviolette Scheiben« eingebettet sind: Tiefe Aufnahmen im ultravioletten Licht haben gezeigt, dass die im Sichtbaren leuchtenden Galaxien von nur im UV-Licht erkennbaren (also relativ heißen und jungen) Sternen umgeben sind. Die erste »ausgedehnte UV-Scheibe« dieser Art wurde 2005 um M 83 nachgewiesen – die Sterne, aus denen sie besteht, sind höchstens hundert Millionen Jahre alt. Zum Vergleich: Die Sonne, ein typischer Stern in unserer Galaxis, hat bereits 4,5 Milliarden Jahre hinter sich – etwa die Hälfte ihres gesamten Lebens als Stern.


Die wahre Größe und Form der »ausgedehnten UV-Scheibe«
Frank Bigiel und seine Kollegen wollten nun zwei Fragen beantworten, die sich in diesem Zusammenhang stellen – erstens: Wie groß sind solche »UV-Scheiben« wirklich, also bis zu welcher Entfernung von den sichtbaren Galaxien lassen sich noch relativ junge und heiße Sterne nachweisen? Und zweitens: Wie gut passt die Verteilung der jungen und heißen Sterne, aus denen die ausgedehnten UV-Scheiben bestehen, mit der Verteilung des neutralen Wasserstoffs in der Umgebung der Galaxien zusammen? Sind die neuen Sterne wirklich aus dem Wasserstoff in solch großen Entfernungen zu den sichtbaren Galaxien entstanden?

Um diese Fragen anzugehen, wählten die Astronomen acht Galaxien aus, von denen auch hoch aufgelöste, empfindliche Radiokarten des neutralen Wasserstoffs vorliegen – darunter natürlich auch die prototypische Galaxie »mit ausgedehnter UV-Scheibe«, M 83. Von diesen Galaxien nahmen sie mit dem UV-Satelliten GALEX (Galaxy Evolution Explorer) der NASA die tiefsten Bilder auf, die je von nahen Galaxien im ultravioletten Licht gewonnen wurden. Dabei wurde jede dieser Galaxien für knapp vier Stunden belichtet. Nun liegen von M 83 die ersten Ergebnisse vor.

Abb. 1 ist ein Komposit aus nahem und fernem UV. Die Emission im fernen UV (blau dargestellt) stammt überwiegend von jungen und heißen Sternen, während die Strahlung im nahen UV (gelb dargestellt) von etwas älteren Sternen, sowie von Sternen im Vordergrund und Galaxien im Hintergrund stammt. Als die Astronomen diese extrem tiefe Aufnahme von M 83 zum ersten Mal sahen, waren sie sehr überrascht: Sie hätten niemals erwartet, so viele Sterne bis zu einer Entfernung von etwa 140 000 Lichtjahren um M 83 zu finden. Diese Entfernung entspricht dem siebenfachen Radius dessen, was im optischen Spektralbereich von M 83 zu sehen ist!

Abb. 2 zeigt einen Vergleich der UV-Strahlung (hier ist das ferne UV blau und das nahe UV grün kodiert) mit der rot dargestellten Verteilung der 21-cm-Radiostrahlung des neutralen, atomaren Wasserstoffs: Offenbar gibt es überall, wo junge Sterne ihr UV-Licht aussenden, auch neutralen Wasserstoff, der seine chrakteristische Radiostrahlung emittiert – und umgekehrt: Wo es neutralen Wasserstoff gibt, da leuchten auch junge Sterne. Beide passen perfekt zusammen! Das kann nur sein, wenn die Sterne tatsächlich dort entstanden sind, wo wir sie heute beobachten – nämlich überall dort, wo es neutralen, atomaren Wasserstoff gibt.



Ausblick
Dieses Ergebnis zeigt, wie robust die natürlichen Mechanismen sind, die zur Sternentstehung führen. Und es ist aus einem weiteren Grund interessant. Das hier beobachtete Gas ist wahrscheinlich sehr »metallarm«, das heißt: Es enthält kaum Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff oder Helium – also kaum Kohlenstoff, Stickstoff, Silizium ... aus einem solchen Gas können sich (ganz anders als aus dem metallreichen interstellaren Gas in den galaktischen Spiralarmen) praktisch keine Staubteilchen bilden: Das Gas zwischen den Galaxien ist also vermutlich weitgehend staubfrei.

Beim Prozess der Sternentstehung spielt der Staub jedoch eine Schlüsselrolle: Beim Kollaps der Gaswolke, der zur Sternbildung führt, wird ihre in Form von Wärme freigesetzte Gravitationsenergie vom Staub als Infrarotlicht abgestrahlt. Damit wird vermieden, dass die innere Erhitzung der Wolke ihren Kollaps und damit die Sternbildung verhindert.

Die Astronomen werden daher als nächstes präzise Messungen des tatsächlichen Staubvorkommens vornehmen, sowie die physikalischen Bedingungen, wie Temperatur, Dichte und Druck des Staubes und des Wasserstoffgases bestimmen. Diese Daten werden helfen, Sternentstehung in exotischen Umgebungen, die sich stark von denen zum Beispiel in unserer Milchstraße unterscheiden, besser zu verstehen und damit auch unser Wissen über die Bedingungen für Sternentstehung allgemein im Universum zu erweitern.

Zunächst erwarten die Astronomen um Frank Bigiel jedoch gespannt die Beobachtungen der anderen sieben Galaxien aus der oben beschriebenen Studie. Vielleicht halten sie noch die eine oder andere Überraschung bereit.

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