Dunkle Wolken, junge Sterne und ein Schuss Hollywood

Weltraumteleskop liefert neue Erkenntnisse über Sternkinderstuben

30. Oktober 2012

Ein astronomisches Projekt unter Leitung von Forschern des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) hat neue Einblicke in die frühesten Phasen der Sternentstehung gewonnen. Mit Hilfe des ESA-Weltraumteleskops Herschel und mit Auswertungstechniken, die man häufiger bei Hollywood-Filmproduktionen antrifft als in der Astronomie, konnten die Forscher eine dreidimensionale Karte der Dunkelwolke B68 erstellen, die Geburtsort eines Sterns niedriger Masse werden könnte. In weiteren, sehr massereichen Dunkelwolken konnten die Forscher außerdem eine frühe Vorläuferform junger Sterne identifizieren, die noch nie zuvor beobachtet wurde.

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Sterne werden geboren, wenn Wolken von Gas und Staub unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren. Die Wolken liefern allerdings nicht nur das Rohmaterial für die Sternentstehung, sondern absorbieren auch einen Großteil des Lichts, das im Wolkeninneren entsteht, und entziehen die entscheidenden Details der Sterngeburt auf diese Weise den Blicken der Astronomen. Diese müssen sich daher einiges einfallen lassen, um die Sternentstehung zu erforschen.

Jetzt haben zwei Gruppen im sogenannten EPoS-Projekt (»Earliest Phases of Star formation«, Leitung: Oliver Krause, MPIA) mit Hilfe des Herschel-Weltraumteleskops der europäischen Weltraumagentur ESA tiefer und genauer als je zuvor in das Innere einiger der Dunkelwolken hineingeblickt, in denen Sterne entstehen – und dabei einiges Neues über Sterngeburten herausgefunden.

Auf der Suche nach dem Ursprung von Sternen mit niedriger Masse (sprich: weniger als dem Doppelten der Masse unserer Sonne) hat sich eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Markus Nielbock (MPIA) eine der bestuntersuchten potenziellen Sternkinderstuben vorgenommen: die Dunkelwolke Barnard 68 im Sternbild Schlangenträger (lat. Ophiuchus). Die Wissenschaftler machten sich die Fähigkeiten des Weltraumteleskops Herschel zunutze, Aufnahmen in nie erreichter Empfindlichkeit und Detailschärfe im Bereich des Ferninfrarotlichts anzufertigen. Dann wandten sie eine Methode an, die man häufiger als in der Astronomie in Spezialstudios findet, die für Hollywoodfilme computergenerierte Bilder erstellen. So entstand das bislang realistischste 3D-Modell der Dunkelwolke.

Die Methode, die von Ralf Launhardt (MPIA) an die Erfordernisse der Astronomen angepasst wurde, ist das sogenannte Raytracing (wörtlich »Strahlverfolgung«). Dazu wurde jeder Lichtstrahl, der uns von Barnard 68 erreicht, per Computer virtuell in die Wolke zurückverfolgt; an jedem Ort, den der Strahl passiert, berücksichtigt das Computerprogramm dann, ob dort Licht ausgesandt, absorbiert oder gestreut wird, und welche Wellenlängen das betreffende Licht hat. Addiert man alle diese Beiträge auf, ergibt sich aus einem dreidimensionalen Wolkenmodell das zweidimensionale Bild, das ein Astronom aus der Ferne beobachten kann. Umgekehrt lässt sich die Technik einsetzen, um mit Hilfe vereinfachender Zusatzannahmen von dem Licht verschiedener Wellenlängen, das uns von Barnard 68 erreicht, auf ein Modell der dreidimensionalen Struktur der Wolke, ihrer Dichte- und Temperaturverteilung zu schließen.

Die Ergebnisse haben einiges von dem ins Wanken gebracht, das Astronomen über Barnard 68 zu wissen glaubten. Es ergibt sich ein Bild von Barnard 68 als Wolke, die aus dem Kollaps eines länglichen Filaments entstanden sein dürfte und durch ungleichmäßige Strahlung, die vor allem aus der Scheibenebene unserer Heimatgalaxie stammt, aufgeheizt wird. Die Astronomen fanden außerdem Anzeichen für eine weitere kleine Wolke, die mit Barnard 68 kollidiert und deren Existenz in einer früheren Studie vorausgesagt worden war (Burkert & Alves 2009). Die Kollision könnte den Kollaps von Barnard 68 einleiten, und innerhalb der nächsten Hunderttausende von Jahren könnten darin einer oder mehrere Sterne mit geringer Masse geboren werden.

Verglichen mit anderen Dunkelwolken ist Barnard 68 recht klein. In Wolken dieser Größe werden höchstens einige wenige massearme Sterne entstehen. Zur Erforschung der Entstehung massereicher Sterne hat eine weitere EPoS-Gruppe unter der Leitung von Sarah Ragan (MPIA) 45 deutlich massereichere Dunkelwolken beobachtet. Solche Wolken enthalten zahlreiche sogenannte »Protosterne«, Sternen-Embryos, aus denen sich im Laufe der Zeit neue Sterne entwickeln. Protosterne waren bereits das Beobachtungsziel früherer Missionen, etwa des NASA-Weltraumteleskops. Mit der PACS-Kamera des Herschel-Teleskops konnten die Forscher um Ragan allerdings deutlich tiefer ins Wolkeninnere vordringen. So gelang es ihnen, die jüngsten und primitivsten derzeit bekannten Protosterne zu finden.

Durch die neuen Beobachtungen wuchs die Zahl der bekannten Protosterne in den betreffenden Wolken von 330 auf knapp 500 an. Am spannendsten ist dabei die Entdeckung eines neuen Typs von Sternenvorläufers: dichtere Regionen mit einer Temperatur von bloßen 15 Grad über dem absoluten Nullpunkt (-258 Grad Celsius), in denen kein Protostern nachzuweisen ist. Dabei dürfte es sich um die frühesten Stadien der Sternentstehung handeln. Den Modellen zufolge entsteht in solchen Regionen auf der astronomisch gesehen sehr kurzen Zeitskala von weniger als 1000 Jahren ein neuer Protostern. Nähere Untersuchungen dieser Regionen dürften die Grundlagen für alle weiteren Studien zur Sternentstehung legen.

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Hintergrundinformationen

Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlich als Nielbock et al., »The Earliest Phases of Star formation (EPoS) observed with Herschel: the dust temperature and density distributions of B68« und als Ragan et al., »The Earliest Phases of Star Formation (EPoS): A Herschel Key Program – The precursors to high-mass stars and clusters«.

Die Autoren des ersten Artikels sind Markus Nielbock (Max-Planck-Institut für Astronomie: MPIA), Ralf Launhardt (MPIA), Jürgen Steinacker (Unviversité de Grenoble und MPIA), Amelia M. Stutz, Zoltan Balog, Henrik Beuther, Jeroen Bouwman, Thomas Henning (alle MPIA), Pierre Hily-Blant (Université de Grenoble), Jouni Kainulainen, Oliver Krause, Hendrik Linz, Nils Lippok, Sarah Ragan (alle MPIA), Christophe Risacher (SRON Netherlands Institute for Space Research und Max-Planck-Institut für Radiostronomie) und Anika Schmiedeke (MPIA und Universität zu Köln).

Die Autoren des zweiten Artikels sind Sarah Ragan (Max-Planck-Institut für Astronomie: MPIA), Thomas Henning, Oliver Krause, Jan Pitann, Henrik Beuther, Hendrik Linz, Jochen Tackenberg, Zoltan Balog (alle MPIA), Martin Hennemann (AIM Paris-Saclay, CEA/DSM/IRFU – CNRS/INSU – Université Paris Diderot), Ralf Launhardt, Nils Lippok, Markus Nielbock (alle MPIA), Anika Schmiedeke (MPIA und Universität zu Köln), Frederic Schuller (Max-Planck-Institut für Radioastronomie), Jürgen Steinacker (Université de Grenoble und MPIA), Amelia M. Stutz (MPIA) und Tatyana Vasyunina (University of Virginia, Charlottesville).

Die Ergebnisse sind Teil des Herschel Guaranteed Time Key Programme (GTKP) »The earliest phases of star formation (EPoS)« am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA). Leitender Wissenschaftler des Programms (Principal Investigator) ist Oliver Krause. Der Programmteil zu massearmen Sternen, zu dem die Ergebnisse von Nielbock et al. gehören, wird von Ralf Launhardt koordiniert, der Programmteil zu massereichen Sternen von Henrik Beuther, Sarah Ragan und Thomas Henning.

Weitere Informationen: (englisch)

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Fragen und Antworten

Warum sind Beobachtungen im infraroten bzw. ferninfraroten Bereich wichtig für Untersuchungen zur Sternentstehung?
Die Wolken, in denen neue Sterne geboren werden, sind für herkömmliches, sichtbares Licht undurchlässig. Beobachtungen mit sichtbarem Licht können uns daher nicht zeigen, was im Inneren solcher Wolken vor sich geht, und sie können uns insbesondere nicht die Details von Sterngeburten enthüllen. Günstigerweise hängen Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit aber von der Wellenlänge des verwendeten Lichts ab. Infrarotstrahlung (Wellenlängen länger als die des sichtbaren Lichts) kann kosmische Staubwolken so gut wie ungehindert durchqueren. Licht der längsten infraroten Wellenlängen, im sogenannten ferninfraroten Bereich, trägt Informationen über die innersten Bereiche der Sternentstehungsgebiete. Diese Regionen sind sehr kalt, und das wenige, was sie an Strahlung abgeben, fällt in diesen Wellenlängenbereich.

Ganz allgemein hängt von der Temperatur ab, welche Sorten von Strahlung Materie abgibt. Eine heiße Herdplatte gibt insbesondere Infrarotstrahlung ab, die wir als Wärmestrahlung auf der Haut fühlen können. Eine Glühlampe, deren Glühdraht sich auf einige Tausend Grad Celsius aufheizt, gibt beträchtliche Mengen an sichtbarem Licht ab. Bereiche in Dunkelwolken, in denen sich ein Protostern gebildet hat (Temperaturen um 100 K, entspricht -173 Grad Celsius) oder Bereichen in noch früheren Phasen der Sternentstehung (Temperaturen um 10 K, entsprechend -263 Grad Celsius) strahlen vornehmlich im ferninfraroten Bereich ab. Solche Strahlung kann das Weltraumteleskop Herschel nachweisen.

Welche Rolle spielt das Weltraumteleskop Herschel bei den hier beschriebenen Untersuchungen?
Wie in der vorangehenden Antwort ausgeführt, ist Ferninfrarotstrahlung der Schlüssel zur Beobachtung der frühesten Phasen der Sternentwicklung. Allerdings ist es mit derart langwelliger Strahlung deutlich schwieriger als im sichtbaren Licht, feine Details zu beobachten – Abhilfe kann nur ein entsprechend größeres Teleskop schaffen. Außerdem wird Ferninfrarotstrahlung, die uns aus den Tiefen des Alls erreicht, so gut wie vollständig von der Erdatmosphäre absorbiert.

Das macht das ESA-Weltraumteleskop Herschel, das 2009 gestartet ist, zu einem Schlüsselinstrument für Untersuchungen zur Sternentstehung: Von seinem Standort weit außerhalb der Erdatmosphäre aus und mit seinem Spiegel mit 3,5 Metern Durchmesser (der es zum größten derzeitigen Weltraumteleskop macht) und seinen hochempfindlichen Ferninfrarot-Detektoren kann es tief ins Innere von Dunkelwolken blicken und dort Details abbilden, auf deren Grundlage die Forscher realistische Modelle der Sternentstehung formulieren und auf die Probe stellen können.

Welche Instrumente wurden bei diesen Studien eingesetzt?
Die Forscher nutzten die Herschel-Instrumente PACS und SPIRE, die zusammengenommen den ferninfraroten Wellenlängenbereich zwischen 70 und 500 µm abdecken.

PACS (»Photodetector Array Camera & Spectrometer«) ist ein Kombinationsinstrument aus astronomischer Kamera und Spektrograf für Wellenlängen zwischen 57 und 210 µm. Das Instrument wurde von einem Konsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik in Garching entwickelt und gebaut. Wichtige Beiträge kamen vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

SPIRE (»Spectral and Photometric Imaging Receiver«) kann Bilder bei Wellenlängen rund um 250, 350 und 500 µm aufnehmen und Spektren im Wellenlängenbereich zwischen 200 und 670 µm messen. Das Instrument wurde von einem internationalen Konsortium unter der Leitung der Universität Cardiff entwickelt und gebaut.

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