Die Bedeutung der Zusammenstöße von Galaxien für die Sternentstehung im Kosmos

Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für Astronomie

Autoren
Robaina, Aday R.; Bell, Erik; Skelton, Rosalind; Gallazzi, Anna; Jahnke, Knud; Meisenheimer, Klaus; Skibba, Ramin
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
Zusammenfassung
Wenn große Galaxien einander nahe kommen, können die dabei auftretenden Gezeitenkräfte heftige Sternbildungsaktivität auslösen. Insgesamt aber spielt dieser Prozess für die Bildung neuer Sterne keine große Rolle: Wie eine internationale Studie unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie gezeigt hat, wurde in massereichen Galaxien während der letzten acht Milliarden Jahre (bei Rotverschiebungen z < 1) die Bildung von weniger als zehn Prozent aller neuen Sterne unmittelbar durch gravitative Wechselwirkung ausgelöst – ein wichtiger Befund für die Theorie der Galaxienentwicklung.

Gravitative Wechselwirkungen und Verschmelzungen von Galaxien können die Sternbildungsaktivität in den beteiligten Systemen dramatisch verstärken. Dies zeigen alle bei Rotverschiebungen z < 1 untersuchten Fälle, bei denen die Morphologie der beteiligten Systeme im visuellen Spektralbereich noch erkennbar ist. Die ultraleuchtkräftigen Infrarotgalaxien, in denen die stärksten Ausbrüche von Sternbildungsaktivität im nahen Kosmos beobachtet werden, sind in Wahrheit fast ausnahmslos verschmelzende Galaxienpaare oder Mehrfachsysteme. Von großem theoretischen Interesse sind aber nicht so sehr diese spektakulärsten Fälle, als vielmehr die mittlere Verstärkung der Sternbildungsaktivität, gemittelt über sämtliche bedeutenderen Fälle von Wechselwirkung oder Verschmelzung innerhalb einer gegebenen Population. Der starke Abfall der kosmischen Sternentstehungsrate während der letzten acht Milliarden Jahre verlief parallel zur Abnahme der Häufigkeit naher Begegnungen zwischen Galaxien. Diese Beobachtung fände ihre natürliche Erklärung, wenn tatsächlich ein Großteil der Sternentstehung durch solche Begegnungen ausgelöst würde.

Es wird seit langem vermutet, dass elliptische und linsenförmige Galaxien aus der Verschmelzung von Spiralgalaxien entstehen, und in allen hierarchischen Modellen der Galaxienentwicklung spielen solche Verschmelzungsprozesse eine wichtige Rolle. In den Modellrechnungen führt die gravitative Wechselwirkung der Galaxien zu einer Verstärkung der Sternbildungsrate und spielt daher eine Schlüsselrolle für die Beschreibung der chemischen Entwicklung der Sternpopulationen in Galaxien. Für die Auswahl der richtigen theoretischen Beschreibung der Galaxienentwicklung muss demnach die Bedeutung der gravitativen Wechselwirkung zwischen benachbarten Galaxien für die Sternbildungsrate empirisch ermittelt werden.

In der hier beschriebenen Studie wurde eine statistische Analyse der Eigenschaften einer vollständigen Stichprobe massereicher Galaxien (M* > 2×1010 Sonnenmassen) bei Rotverschiebungen im Bereich 0,4 < z < 0,8 durchgeführt, unter Berücksichtigung aller Phasen gravitativer Wechselwirkung zwischen Galaxien mit stellaren Komponenten vergleichbarer Masse (Massenverhältnis 1:1 bis 1:4). Zwei Schlüsselfragen wurden behandelt: Wie groß ist die mittlere Verstärkung der Sternbildungsrate in Abhängigkeit vom gegenseitigen Abstand wechselwirkender Galaxien? Und welcher Anteil der Sternbildungsaktivität wird direkt durch gravitative Wechselwirkung und Verschmelzung der Galaxien ausgelöst?

Die Stichprobe und ihre Analyse

Die in dieser Studie untersuchten Galaxien bilden eine wohldefinierte, innerhalb eines gegebenen kosmischen Volumens vollständige Stichprobe aus der schon früher am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) durchgeführten photometrischen Durchmusterung COMBO-17 – diese besteht aus der vollständigen Überdeckung eines vollmondgroßen Himmelsausschnitts mit breit- und schmalbandigen Aufnahmen in 17 Farben vom UV (Wellenlänge 350 nm) bis zum nahen Infrarot (930 nm). In zwei COMBO-17-Feldern liegen auch die mit dem Weltraumteleskop Hubble durchgeführten Durchmusterungen GEMS und STAGES, sodass auch diese hochaufgelösten Aufnahmen mit herangezogen werden konnten.

Aus den COMBO-17-Daten waren die Rotverschiebungen der Galaxien und die Massen ihrer stellaren Komponenten bereits bestimmt worden. So konnte das untersuchte Volumen durch die Beschränkung auf Galaxien mit Rotverschiebungen im Intervall 0,4 < z < 0,8 definiert werden. Um den Einfluss der Sternbildungsaktivität auf die Zusammensetzung der Stichprobe zu minimieren, wurden die 2551 Galaxien der Stichprobe allein aufgrund der Masse ihrer stellaren Komponente ausgewählt: Sie sollte mindestens 20 Milliarden Sonnenmassen betragen. Zur Untersuchung der Verstärkung der Sternentstehungsrate durch gravitative Wechselwirkung wurden nur Galaxienpaare ähnlicher Masse betrachtet – d. h. solche, deren Massenverhältnis im Intervall 1:1 bis 1:4 liegt.

Ein Maß für die Sternbildungsrate der Galaxien ist deren UV-Helligkeit, denn sie stammt von den massereichen, kurzlebigen, und deshalb soeben entstandenen Sternen. Aber wo viele Sterne entstehen, gibt es auch viel Staub, der deren UV-Strahlung absorbiert und dadurch erwärmt wird. Die Wärmestrahlung des Staubes ist also ein Maß für die vom Staub verschluckte UV-Strahlung. Deshalb wurde die Sternbildungsrate der Galaxien aus einer Kombination aus ihrer UV-Helligkeit und ihrer IR-Helligkeit abgeleitet, wobei neben den COMBO-17-Daten auch die Spitzer-Photometrie bei 24 µm Wellenlänge herangezogen wurden. Aus den UV- und IR-Helligkeiten wurden die Sternbildungsraten aufgrund von Modellrechnungen anderer Autoren abgeleitet. Die Verfälschung dieser Ergebnisse durch die thermische Emission möglicher von aktiven Galaxienkernen aufgeheizter Staubmassen wurde sorgfältig abgeschätzt und – da sie allerhöchstens 10 Prozent beiträgt – vernachlässigt.

Eine Verstärkung der Sternbildungsrate kann in allen Phasen der gravitativen Wechselwirkung zwischen Galaxienpaaren (gegenseitiger Abstand kleiner als 2 Bogensekunden oder 15 Kiloparsec, etwa 50000 Lichtjahre) auftreten, vom ersten nahen Vorbeiflug bis zum endgültigen Verschmelzen. Um auch die engsten Phasen der Wechselwirkung zu berücksichtigen, wurden zur morphologischen Charakterisierung der Objekte und schließlich zur Bestimmung der Sternbildungsraten neben der COMBO-17-Durchmusterung auch die Hubble-Durchmusterungen GEMS und STAGES herangezogen. Dabei war eine visuelle Klassifikation dieser Objekte erforderlich. Die 2551 Galaxien der Stichprobe wurden auf die drei folgenden Klassen verteilt:

1. Objekte ohne erkennbare Anzeichen für gravitative Wechselwirkungen mit benachbarten Galaxien. Dazu gehören auch asymmetrische, irreguläre Galaxien mit stochastisch verteilter, durch interne Prozesse ausgelöster Sternbildungsaktivität. (Insgesamt 2380 Objekte)

2. Bedeutende enge Begegnungen: Das sind Galaxienpaare, die zwar nicht auf COMBO-17-, wohl aber auf Hubble-Aufnahmen räumlich getrennt erscheinen, und deren Massenverhältnis im Bereich zwischen 1:1 und 1:4 liegt. (Insgesamt 106 Objekte; Beispiele zeigt Abb. 1.)

3. Größere Verschmelzungsprodukte: Galaxien, deren Morphologie Hinweise auf eine kürzlich stattgefundene Verschmelzung zweier ähnlich massereicher Galaxien enthält. Typische Merkmale sind: Eine hochgradig gestörte Morphologie, zwei Kerne vergleichbarer Helligkeit, oder Gezeitenarme ähnlicher Länge. (Insgesamt 72 Objekte; Beispiele zeigt Abb. 2.)

Die wahren (nicht die an den Himmel projizierten) Abstände der Objekte der ersten Klasse zu den anderen Galaxien der Stichprobe können nur statistisch ermittelt werden. Den Paaren der Klasse 2 wurde ein gegenseitiger Abstand von 10 Kiloparsec, und den Verschmelzungsprodukten der Klasse 3 ein Abstand von null Kiloparsec zugeordnet.

Damit lagen die photometrisch bestimmten Sternbildungsraten aller Galaxien der Stichprobe und ihre gegenseitigen Abstände vor. Aus diesem Datensatz wurde die mittlere Abhängigkeit der Sternbildungsraten vom gegenseitigen Abstand möglicher Paare abgeleitet, zum einen für alle Paare, in denen mindestens eine Galaxie Anzeichen für Sternbildungsaktivität zeigt, zum anderen für solche Paare, in denen beide Komponenten Sternbildungsaktivität zeigen. Das Ergebnis ist in Abbildung 3 dargestellt: In beiden Fällen ist für gegenseitige Abstände kleiner als 40 Kiloparsec eine deutliche Verstärkung der Sternbildungsaktivität erkennbar und zwar im Mittel um einen Faktor 1,5 bis 1,8.

Der so bestimmte Verstärkungsfaktor für die Sternbildungsaktivität der Galaxien in Abhängigkeit vom Abstand zu ihren Nachbarn ermöglicht nun die Abschätzung des Effekts bezogen auf die Sternbildung in allen Galaxien der vorliegenden Stichprobe. Es ergibt sich, dass nur etwa 8 Prozent der Sternbildungsaktivität im Rotverschiebungsintervall zwischen z = 0,4 und z = 0,8 direkt durch "bedeutende Verschmelzungsprozesse" der hier betrachteten Art ausgelöst werden. Entsprechend der beobachteten Abnahme der Häufigkeit dieser Verschmelzungen während der letzten 8 Milliarden Jahre (von z = 1 bis in die Gegenwart, z = 0) würde das bedeuten, dass bei z = 1 etwa 14% bis 18% aller Sternbildung in Galaxien durch gravitative Wechselwirkungen der hier betrachteten Art ausgelöst wurden, während es heute nur noch etwa 1 bis 2 Prozent sind.

Andererseits ergibt sich aus der hier vorgestellten Untersuchung, dass die stärksten, tief in dichte Staubwolken eingebetteten Sternbildungsepisoden in den meisten Fällen in verschmelzenden Galaxien stattfinden. Dieser Befund ist dann mit der geringen mittleren Verstärkung durch gravitative Wechselwirkung verträglich, wenn die stärksten Ausbrüche der Sternbildungsaktivität nur jeweils etwa 100 Millionen Jahre andauern.

In Zusammenarbeit mit: University of Massachusetts, University of Missouri, Space Telescope Science Institute, Purple Mountain Observatory, University of Porthmouth, University of Waterloo (Canada), École Polytechnique da Lausanne, Universität Innsbruck, AIP Potsdam, McDonald Observatory, University of Nottingham, University of British Columbia, University of Texas at Austin, Eso Garching, Steward Observatory, Herzberg Institute of Astrophysics, Centro Astronomico Hispano-Aleman de Calar Alto, University of Edinburgh, University of Oxford.

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