TNG-Cluster simuliert die massereichsten Galaxienhaufen im Kosmos
Heidelberger Forscher*innen haben Daten für die größte detaillierte Simulation der Entstehung und Entwicklung von massereichen Galaxienhaufen im Kosmos veröffentlicht. Die Simulation verwendet einen besonderen Trick, der es den Forschern ermöglichte, eine Stichprobe von mehreren hundert massereichen Galaxienhaufen zu erhalten, die jeweils im Detail simuliert wurden. Die Simulation hat bereits interessante Erkenntnisse über die Physik von Galaxienhaufen geliefert. Jetzt werden die Daten vollständig veröffentlicht, so dass andere Wissenschaftler*innen das Modelluniversum für ihre Forschung nutzen können.

Eine neue kosmologische Großsimulation, TNG-Cluster, macht es möglich, die größten gravitativ gebundenen Strukturen im Universum zu erforschen: gigantische Galaxienhaufen mit einer Gesamtmasse von jeweils einer Million Milliarden Sonnenmassen oder mehr, die zahlreiche Galaxien enthalten. Die Simulation ist die erste ihrer Art, die eine ausreichend große Stichprobe von Galaxienhaufen liefert – ganze 92 Haufen der massereichsten Sorte – und so systematische Studien und statistische Analysen solcher Objekte ermöglicht. Auch Vergleiche mit der Population massereicher Galaxienhaufen, die in unserem Universum bereits beobachtet wurden, werden damit möglich. Die Simulation ist ein Projekt von Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) und des Instituts für Theoretische Astrophysik (ITA) der Universität Heidelberg im Rahmen der TNG Collaboration.
Ein unschönes Entweder-Oder
Für die Simulation ihres Modelluniversums mussten die Forscher*innen sich einem unschönen Entweder-Oder stellen, dem alle kosmologischen Simulationen unterliegen: Zum einen sollte solch ein Modellkosmos groß genug sein, um Rückschlüsse auf das Universum als Ganzes zu ermöglichen. Die massereichsten Galaxienhaufen sind sehr selten – hier muss das simulierte Volumen daher besonders groß sein, damit sich hinreichend viele jener massereichen Haufen darin finden. Bei der Vorgängerversion der Simulation, TNG300, waren es gerade einmal 3 solcher Riesenhaufen. Aber wenn wir die physikalischen Prozesse verstehen wollen, müssen die Simulationen auch hinreichend feine Details abbilden. Diese Anforderungen – großes Volumen, feine Details – steigern bereits jede für sich die für die Simulation benötigte Rechenleistung. Da die verfügbare Rechenleistung begrenzt ist, sind die Forscher in der Regel gezwungen, zwischen einem großen, weniger detaillierten Modelluniversum und einem kleineren mit feineren Details zu wählen.
Für die TNG-Cluster-Simulation fanden die Forscher*innen allerdings einen cleveren Ausweg. In einem ersten Schritt simulierten sie ein besonders großes Universum, einen Würfel mit mehr als 3 Milliarden Lichtjahren Seitenlänge, der nur mit dunkler Materie gefüllt ist. Da die dunkle Materie 80% der Gesamtmasse der Materie im Universum ausmacht und die restlichen 20% auf gewöhnliche Materie wie Atome entfallen, ist die Art und Weise, wie sich die dunkle Materie zusammenballt und dichtere Regionen, so genannte Halos, bildet, fast völlig unabhängig von der Anwesenheit von Gas oder Sternen.
Augenmerk auf Galaxienhaufen
Nachdem ihr Universum aus dunkler Materie die gesamte kosmische Geschichte bis zur Gegenwart durchlaufen hatten, identifizierten die Forscher*innen darin 352 Regionen, in denen sich die größten Galaxienhaufen befinden. Für jedes dieser Objekte sowie seine unmittelbare Nachbarschaft führten die Forscher*innen dann separat deutlich detailliertere Simulation durch. Diese separaten Simulationen schlossen dann auch Gas, Sterne und die zentralen supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien ein. In einem letzten Schritt betteten die Forscher die Hunderte von separaten, detaillierten Simulationen wieder in ihr größeres, ursprüngliches Modelluniversum ein.
„Damit entsteht ein einzigartiger wissenschaftlicher Datensatz“, sagt Dylan Nelson, Co-PI des Projekts, vom Institut für Theoretische Astrophysik, das zum Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg gehört. „TNG-Cluster erlaubt uns und Forscher*innen auf der ganzen Welt, nicht nur eine große Anzahl von Galaxienhaufen zu untersuchen, sondern auch kleinskalige Details innerhalb jedes Haufens. Dazu gehören nicht nur die Galaxien, aus denen die Haufen bestehen, sondern auch die Prozesse in dem heißen Gas, das solche Haufen erfüllt.“
Was das heiße Gas betrifft, kommt bei TNG-Cluster noch eine weitere Neuerung hinzu: Die Simulation erlaubt es, die Entwicklung und Verstärkung von Magnetfeldern in Galaxienhaufen zu verfolgen. Das Gas in solchen Haufen ist nämlich ionisiert: es bildet ein Plasma, in dem beispielsweise die positiv geladenen Protonen und die negativ geladenen Elektronen des Wasserstoffs voneinander getrennt sind. Magnetfelder sollten unter solchen Bedingungen für die Materie- und Energieströme entscheidend sein, und damit auch wichtige beobachtbare Merkmale der Galaxienhaufen beeinflussen.
Eine umfassende Galaxienhaufen-Simulation
Das Ergebnis ist eine Simulation, die es in sich hat: Sie ist größer als frühere Simulationen und enthält eine große Anzahl massereicher Galaxienhaufen. Aber auch jeder dieser Haufen selbst wird sehr detailliert simuliert. Das ermöglicht es den Forscher*innen, zahlreiche Eigenschaften der Galaxienhaufen zu dokumentieren: die Eigenschaften des Gases, welches den gesamten Haufen durchzieht („Intracluster-Medium“), die chemische Vielfalt der beteiligten Atome (rund ein Dutzend Elemente des Periodensystems); die Häufigkeit der verschiedenen Sorten von Galaxien innerhalb der massereichen Haufen und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, sowie die Massen der supermassereichen schwarzen Löcher in den Galaxienzentren. Nicht zuletzt zeigen die Simulationen, welche Prozesse all diese Komponenten und die Galaxienhaufen als Ganzes zu dem gemacht haben, was sie heute sind.
Die Vielfalt der simulierten Haufen ist so groß, dass sich sogar Gegenstücke zu einigen spezifischen besonders interessanten Galaxienhaufen in unserem Universum finden lassen: beispielsweise für den so genannten Bullet Cluster, in dem zwei Unterhaufen miteinander verschmelzen, und für „El Gordo“ (wörtlich „Der Dicke“), einen Haufen, der vor sieben Milliarden Jahren bereits die bemerkenswerte Masse von zwei Millionen Milliarden Sonnenmassen erreicht hatte.
Rückkopplung mit Schwarzen Löchern
Die Gruppe, die die TNG-Cluster-Simulationen durchgeführt hat und ihre Daten jetzt öffentlich zugänglich macht, hat ihr Modelluniversum bereits selbst intensiv erforscht. Einige der Ergebnisse waren durchaus unerwartet. Zum Beispiel werden supermassereiche schwarze Löcher aktiv, wenn Materie in sie hineinfällt. Ihre unmittelbare Umgebung bildet dann einen „aktiven Galaxienkern“, der beträchtliche Mengen an Energie in den umgebenden Raum abgibt. In Galaxienhaufen erzeugt die Wechselwirkung solcher Energieinjektionen mit dem Gas des Haufens charakteristische Strukturen: Hohlräume, die fast frei von Material sind, Schocks, bei denen Gasportionen, die in verschiedene Richtungen fließen, zusammenstoßen, und Dichtewellen im Gas selbst.
Die TNG-Simulationen sind beeindruckend gut darin, Details innerhalb eines großen simulierten Volumens des Kosmos zu erfassen. Aber die Prozesse in der Nähe supermassereicher schwarzer Löcher spielen sich auf Skalen ab, die selbst für TNG zu klein sind. Zumindest bei den bisherigen Versionen der Simulation wird die Energie, die aktive galaktische Kerne in ihre Umgebung einspeisen, daher lediglich auf eine drastisch vereinfachte Weise modelliert. Deshalb waren die Forscher durchaus überrascht, dass ihr Modell trotz der Vereinfachung die Hohlräume im Plasma massereicher Galaxienhaufen recht realistisch reproduziert.
In Beobachtungen zeigen sich solche Hohlräume als „Röntgenlöcher“ („X-Ray-Cavities“) – als Regionen, die im Gegensatz zu ihrer Umgebung so gut wie keine Röntgenstrahlung aussenden. „Die Eigenschaften der simulierten Hohlräume stimmen sehr gut mit den Beobachtungen überein“, sagt Annalisa Pillepich vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Co-PI des TNG-Cluster Projekts. „Das bestätigt in beeindruckender Weise, dass unser Modell gut funktioniert.“ Offensichtlich ist die Entstehung von Hohlräumen in massereichen Galaxienhaufen recht robust und hängt nicht von den Details der Physik aktiver galaktischer Kerne ab. Das Ergebnis illlustriert, welche Art von Erkenntnissen die Wissenschaftler aus Simulationen wie TNG-Cluster gewinnen können.
TNG-Cluster für alle!
TNG-Cluster ist ein Spin-Off der TNG-Simulationen. Im TNG-Konsortium ist seit jeher üblich, nicht nur die eigenen Ergebnisse, sondern auch alle Daten der simulierten Modelluniversen öffentlich zu machen. Von den rund 1000 Veröffentlichungen, die auf TNG-Daten basieren, wurden mehr als 700 von Wissenschaftler*innen verfasst, die nicht Teil des Konsortiums sind.
Mit TNG-Cluster verfahren die Forscher*innen genauso: Ab heute können Wissenschaftler*innen und die Öffentlichkeit auf der TNG-Website https://www.tng-project.org/data/ auf das simulierte Universum mit seinen Hunderten von Terabyte an Daten zugreifen. Die Veröffentlichung der Daten wird von einer Reihe neuer wissenschaftlicher Publikationen begleitet, die zu dem runden Dutzend an TNG-Cluster-Artikeln hinzukommen, die bereits zuvor von den Heidelberger Teams veröffentlicht worden waren (https://www.tng-project.org/cluster/#results ).