Neues astronomisches Phänomen:
»Kernschein« gibt Einblicke in früheste Phase der Sterngeburt

23. September 2010

Die Geburt der Sterne liegt buchstäblich im Dunkeln: Tief im Inneren von Gas- und Staubwolken, aus denen kein Licht nach außen dringt, beginnt Materie unter der eigenen Schwerkraft zu kollabieren. Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen im Inneren einer Vielzahl solcher Wolken ein neues astronomisches Phänomen nachweisen können: den Umstand, dass Infrarotlicht an größeren Staubteilchen im Wolkeninneren gestreut wird. Der »Kernschein« liefert Informationen über die frühesten Phasen der Sternentstehung. Die neuen Ergebnisse werden am 24. September 2010 in der Zeitschrift Science veröffentlicht.

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Sterne entstehen, wenn besonders dichte Gebiete kosmischer Gas- und Staubwolken (»Molekülwolken«) unter der eigenen Schwerkraft kollabieren und sich dabei soweit verdichten und aufheizen, dass Kernfusionsreaktionen einsetzen. Auch unsere Sonne ist so entstanden, und die Kernfusionsreaktionen sind für das stete Leuchten unseres Heimatsterns verantwortlich, das Voraussetzung für alles Leben auf der Erde ist. Die in der kollabierenden Wolke enthaltenen Staubteilchen sind das Rohmaterial für die Entstehung von erdähnlichen Planeten um die neu entstandenen Sterne.

Was in den Frühstadien eines solchen Kollapses passiert, ist weitgehend ungeklärt. Jetzt hat ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Laurent Pagani (LERMA, Observatoire de Paris) und Jürgen Steinacker (Max-Planck-Institut für Astronomie) ein neuartiges Phänomen entdeckt, das eine Vielzahl von Informationen über eben diese früheste Phase der Stern- und Planetenentstehung verspricht: den »Kernschein« (englisch »coreshine«) der Wolken. Dabei handelt es sich um unsere Galaxie durchflutendes Infrarotlicht, das von Staubteilchen im Inneren solcher Wolken gestreut wird. Das gestreute Licht liefert Hinweise auf die Größe und Dichte der Staubteilchen, das Alter der Wolke, die räumliche Verteilung des Gases, die Entstehung des Rohmaterials für die spätere Bildung von Planeten und chemische Prozesse im Inneren der Wolke.

Die Entdeckung beruht auf Beobachtungen mit dem NASA-Weltraumteleskop SPITZER. Im Februar dieses Jahres hatten Steinacker und Pagani mit Kollegen aus Grenoble und Pasadena bei Untersuchungen der Molekülwolke L 183 im Sternbild Serpens Caput (»Kopf der Schlange«), rund 360 Lichtjahre von uns entfernt, unerwartete Mittelinfrarotstrahlung nachgewiesen, die aus den dichtesten Regionen der Wolke zu stammen schien. Im Vergleich mit aufwändigen Simulationen konnten die Astronomen zeigen, dass es sich um die Streustrahlung größerer Staubteilchen (Durchmesser rund 1 Mikrometer) handeln musste. Die neue Science-Veröffentlichung beschreibt jetzt Nachfolgeuntersuchungen an insgesamt 110 solcher Quellen, die mit Spitzer beobachtet worden waren und zwischen 300 und 1300 Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Die Untersuchungen belegen, dass es sich um ein weit verbreitetes astronomisches Phänomen handelt: Kernschein ließ sich in rund der Hälfte der untersuchten Wolken nachweisen und ist auch dort mit den dichtesten Wolkenregionen assoziiert.

Die Entdeckung des Kernscheins motiviert eine Vielzahl neuer Beobachtungsprojekte – sowohl für das Weltraumteleskop Spitzer als auch für das James Webb-Weltraumteleskop, das 2014 gestartet werden soll. Bereits jetzt liefert die neue Beobachtungsart neue Einblicke in das Innere der Geburtsstätten von Sternen: Das unerwartete Vorhandensein größerer Staubteilchen (Durchmesser rund 1 Mikrometer) zeigt, dass Staubteilchen bereits in der Vorphase des Wolkenkollapses verklumpen und dadurch größer werden. Interessant ist auch das Beispiel einer Region im südlichen Sternbild »Segel des Schiffs« (Vela), in deren verschiedenen Wolken kein Kernschein nachweisbar war. Steinacker und seine Kollegen vermuten, dass Sternexplosionen (Supernovae), von denen man weiß, dass sie in diesem Gebiet stattgefunden haben, die größeren Staubteilchen zerstört haben könnten.

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Hintergrundinformationen

Die hier beschriebenen Ergebnisse werden am Freitag, den 24. September 2010 in der Zeitschrift Science veröffentlicht: L. Pagani, J. Steinacker et al., “The ubiquity of micron-sized dust grains in the dense interstellar medium”. Die beteiligten Forscher sind Laurent Pagani (Observatoire de Paris), Jürgen Steinacker (Max-Planck-Institut für Astronomie und Observatoire de Paris) als Hauptautoren sowie Aurore Bacmann (Université Joseph Fourier – Grenoble 1 und CNRS, Laboratoire d'Astrophysique de Grenoble), Amelia Stutz (Max-Planck-Institut für Astronomie und University of Arizona) und Thomas Henning (Max-Planck-Institut für Astronomie).

Um auf diesen Artikel vor Ablauf der Sperrfrist zugreifen zu können, wenden Sie sich bitte an den AAAS Office of Public Programs,
Tel.: 1-202-326-6440 und E-Mail: scipak@aaas.org

Der erste Nachweis des Phänomens in der Molekülwolke L 183 (siehe auch MPIA-Bildveröffentlichung 09-12) wurde veröffentlicht als J. Steinacker et al., “Direct evidence of dust growth in L183 from mid-infrared light scattering” in Astronomy & Astrophysics Band 511 (2010), Artikel A9. Die beteiligten Forscher waren Jürgen Steinacker (Max-Planck-Institut für Astronomie und Observatoire de Paris), Laurent Pagani (Observatoire de Paris), Aurore Bacmann (Observatoire de Grenoble) und Sylvain Guieu (SPITZER Science Center, Pasadena).

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Fragen und Antworten


Warum fanden diese Beobachtungen mit Infrarotstrahlung statt?
Die betreffenden Molekülwolken sind für sichtbares Licht undurchsichtig. Man sieht sie mit herkömmlichen optischen Teleskopen als dunkle Flächen, die dahinterliegende Sterne verdecken. Für Infrarotlicht dagegen sind die Wolken durchsichtig, und zwar umso besser, je länger die Wellenlänge des Infrarotlichts ist. Mit Nahinfrarotlicht (Infrarotlicht kürzester Wellenlänge) können z.B. junge Sterne innerhalb von Molekülwolken nachgewiesen werden. Mit Ferninfrarotlicht (Infrarotlicht längster Wellenlänge) und Submillimeterstrahlung (Wellenlänge noch größer als bei Ferninfrarot) lässt sich die Wärmestrahlung der Wolke nachweisen, was Rückschlüsse auf die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Wolke erlaubt. Die hier geschilderten Ergebnisse erlauben neuartige Beobachtungen im Mittelinfraroten.

Welche Rolle kommt den Staubteilchen in der Wolke zu?
Die Staubteilchen sind das Rohmaterial für erdähnliche Planeten, die als Nebenprodukt der Sternentwicklung um den jungen Stern herum entstehen. Diese Staubteilchenbesitzen einen Eismantel, der es ihnen erlaubt, aneinander festzukleben; wie dies in welchem Stadium geschieht, ist ein wichtiges Puzzlestück für Modelle der Planetenentstehung. Die in dem Gas eingebetteten, typischer Weise etwa 0,1 Mikrometer großen Staubteilchen sind ein wichtiger Lieferant von Informationen, da sie sowohl kurzwellige Strahlung absorbieren als auch langwellige Strahlung (als Wärmestrahlung) aussenden. Die durch den Kernschein erstmals direkt nachgewiesenen größeren Staubteilchen (rund 1 Mikrometer Durchmesser) zeigen, dass die Verklumpung bereits vor dem eigentlichen Kollaps beginnt.

Wie gelang die Entdeckung?
Im mittleren Infrarotbereich gab es bislang wenig Informationen aus den Kernen der Molekülwolken, da die Wolken zu kalt sind, um selbst in diesem Wellenlängenbereich zu strahlen und da die meisten davon zu wenig Materie enthalten, um nennenswert viel von der unsere Galaxie durchflutenden Mittelinfrarotstrahlung (galaktische Hintergrundstrahlung) zu absorbieren. Steinacker et al. 2009 hatten in SPITZER-Beobachtungen der Molekülwolke L183 unerwartete Strahlung im mittleren Infrarot bemerkt. Aufwändige Simulationen der Wechselwirkung von Strahlung und Materie zeigten, dass es sich um gestreutes Licht handeln muss – um die unsere Milchstraße durchflutende Mittelinfrarotstrahlung, die von Material im Wolkeninneren absorbiert und in alle Richtungen wieder ausgesendet wird. Allerdings können die in der Wolke vermuteten Staubteilchen mit Abmessungen um 0,1 Mikrometer keine Mittelinfrarotstrahlung streuen. Erst als die Forscher Simulationen rund zehnmal größerer Teilchen durchführten, konnten sie die Beobachtungsdaten erklären. Ein neues astronomisches Phänomen war entdeckt: die Streuung von Mittelinfrarotstrahlung durch größere Staubteilchen im Kern von Molekülwolken.

Welche Informationen sind von zukünftigen Untersuchungen des Kernscheins zu erwarten?
Die neue Untersuchungsmethode öffnet ein neues Fenster zum Verständnis der Frühphase des Sternentstehungsprozesses. Das Wachstum der Staubteilchen in den Wolken verspricht wichtige Erkenntnisse über die Dichteschwankungen und Turbulenz in der Wolke. Da die beobachtete Streustrahlung empfindlich von der Dichte der Materie abhängt, lässt sich aus dem Kernschein die räumliche Dichteverteilung des Gases ableiten. Staubwachstum als kontinuierlicher Prozess erlaubt eine Abschätzung des Alters der dichteren Regionen (»Wolkenkerne«) – je weiter verklumpt die Staubteilchen, desto älter die Verdichtung in der betreffenden Region. Die Staubteilchen sind außerdem wichtig für die chemischen Prozesse, die in der Wolke ablaufen – auf ihren Oberflächen können chemische Reaktionen ablaufen, die die Häufigkeiten der verschiedenen Molekülsorten in der Wolke verändern. Hier ergänzen sich Kernschein-Messungen und herkömmliche Beobachtungen im Infrarot- bis Radiobereich, die Rückschlüsse auf die Molekülhäufigkeiten erlauben.

Mit welchem Teleskop wurden die Beobachtungen vorgenommen?
Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf Beobachtungen mit dem NASA-Weltraumteleskop SPITZER, das 2003 in Betrieb genommen wurde. Die hier ausgewerteten Beobachtungsdaten wurden im Rahmen verschiedener »SPITZER Legacy Surveys« über Jahre hinweg aufgenommen. Beobachtungen in dem betreffenden Wellenlängenbereich sind auch jetzt noch mit SPITZER möglich, und werden nicht dadurch beeinflusst, dass dem Weltraumteleskop 2009 das zur Kühlung verwendete flüssige Helium ausging. Das nächste Teleskop, das in dem spezifischen, hier benötigten Wellenlängenbereich beobachten kann, wird das James Webb-Weltraumteleskop sein, ein Projekt von NASA, ESA und kanadischer Weltraumagentur. Dieses Teleskop soll 2014 in den Weltraum geschossen werden.

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