Blick in Kinderstube von Erden und Supererden: Bislang detaillierteste Abbildung der inneren Regionen einer protoplanetaren Scheibe

31. März 2016

Neue Beobachtungen liefern die bislang deteilreichsten Aufnahmen eines jungen Planetensystem-Vorläufers rund um den Stern TW Hydrae: eine protoplanetare Scheibe mit ringartigen Strukturen, in denen Lücken auf das Vorhandensein von Planeten hindeuten könnten. Die Bilder wurden mit dem ALMA-Observatorium aufgenommen und zeigen die innersten Scheibenregionen. Dort ist genau in jenem Abstand vom Zentralstern, der dem Abstand der Erde von der Sonne entspricht, eine ringförmige Lücke zu sehen. Diese Lücke könnte das Vorhandensein eines Planeten auf einer erdähnlichen Umlaufbahn rund um TW Hydrae anzeigen.

Wir können zwar nicht in der Zeit zurückreisen und in Augenschein nehmen, wie eine protoplanetare Scheibe den Planeten Erde hervorbringt - eine dichte Scheibe aus Gas und Staub, in der winzige Eis- und Staubkörner verklumpen und dabei immer größere Objekte bilden, so dass schließlich Planeten entstehen. Aber Astronomen können etwas anderes tun, das ganz ähnliche Informationen liefern kann wie solch eine Zeitreise. Sie können entfernte Sternsysteme beobachten, die sich in demselben frühen Entwicklungszustand befinden wie unser Sonnensystem vor rund 5 Milliarden Jahren.

Die Geburt einer anderen Erde haben Astronomen dabei noch nicht direkt beobachten können, aber sie sind diesem Ziel jetzt einen wichtigen Schritt näher gekommen. Beobachtungen einer protoplanetaren Scheibe haben zum ersten Mal Strukturen auf Größenskalen des inneren Bereichs unseres Sonnensystems sichtbar gemacht, also desjenigen (astronomisch gesehen kleinen) Bereichs, in dem sich auch unsere Erde befindet. Insbesondere haben sie in der Scheibe rund um den Stern TW Hydrae eine ringförmige Lücke ausgemacht, die auf das Vorhandensein eines neu entstehenden Planeten hinweisen könnte.

Eine Lücke, so klein wie die Erdumlaufbahn

Die Lücke ist genau soweit von TW Hydrae entfernt wie die Erde von der Sonne. (Astronomen nennen diese Distanz "1 astronomische Einheit"). Wenn die Entstehungsprozesse in der Umgebung von TW Hydrae ähnlich vor sich gehen wie damals bei unserer Sonne, wäre dies ein naheliegender Geburtsort für erdähnliche Planeten oder ihre größeren Verwandten, die massereicheren Supererden.

TW Hydrae ist ein junger Stern im Sternbild Wasserschlange (Hydra), der von einer protoplanetaren Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist. Mit einem Abstand von nur 176 Lichtjahren von der Erde ist dies eine der uns nächsten protoplanetaren Scheiben, und entsprechend auch eine der am besten untersuchten. Bis 2012 konnte die Scheibe allerdings nur indirekt untersucht werden - direkte Abbildungen der Scheibe und ihrer Struktur gab es noch nicht.

Ab Ende 2014 setzte das neu in Betrieb genommene ALMA-Observatorium dann neue Maßstäbe für die Beobachtungen von Staub in solchen Scheiben. Staub ist das Rohmaterial für erdähnliche Planeten und die festen Kerne von Gasriesen. Dank ALMA konnten Staubstrukturen detailreicher und mit gröerer Empfindlichkeit abgebildet werden als zuvor.

Die bislang detailreichsten Beobachtungen

Nun hat eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Sean Andrews (Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, Cambridge, Massachusetts) mithilfe von ALMA das bislang detailreichste Bild der Scheibe um TW Hydrae aufgenommen - und die Möglichkeiten des ALMA-Observatoriums dabei aufs äußerste ausgereizt. Andrews sagt: "Das ist das am höchsten aufgeöste Bild, das ALMA je von einer protoplanetaren Scheibe aufgenommen hat.  Diese Auflösung wird auch in Zukunft schwer zu übertreffen sein." In den nächsten Jahren dürfte ALMA keine protoplanetare Scheibe mit höherer Auflösung abbilden als hier geschehen.

Deutlich ist in dem Bild eine Struktur aus Ringen und ringförmigen Lücken in der protoplanetaren Scheibe zu sehen, und das bis hin zu den innersten Scheibenregionen, die von der Größe her den inneren Regionen unseres Sonnensystems entsprechen. Zuvor hatte ALMA ähnliche, aber deutlich größere Ringe in einer anderen Scheibe um den Stern HL Tauri gezeigt. (Details finden sich in der MPIA-Wissenschaftsmitteilung 2016-06.) Jene andere Scheibe ist allerdings deutlich jünger - eine Million Jahre im Vergleich zu den 10 Millionen Jahren bei TW Hydrae - und die Astronomen waren einigermaßen überrascht, in einer vergleichsweise alten Scheibe solchen engen, perfekt symmetrischen Ringe zu finden.

Tilman Birnstiel vom Max-Planck-Institut für Astronomie, der an den Beobachtungen beteiligt war, sagt: "Wir kennen einige Mechanismen, die derartige Strukturen erzeugen können: Magnetfelder etwa, oder bestimmte Arten von Strömungsstabilitäten. Die spannendste Möglichkeit ist natürlich, dass es sich um Spuren von Planeten handelt, die um TW Hydrae umlaufen. Die Scheibe ist alt genug, dass sich Planeten gebildet haben könnten. Diese Planeten würden Gas und Staub entlang ihrer Umlaufbahnen aufsammeln und so die ringförmigen Lücken erzeugen."

Als nächstes sind die Theoretiker am Zuge, die sich mit Planetenentstehung beschäftigen. Sie müssen jetzt zeigen, wie die neuen Beobachtungsdaten zu ihren Modellen der Planetenentstehung passen. Birnstiel fügt hinzu: "Wir Theoretiker müssen jetzt vor allem zeigen, wie sich anhand von Beobachtungen zwischen den verschiedenen möglichen Erklärungen für die Lücken unterscheiden lässt - und welches die richtige Erklärung ist. Aber egal was sich als die richtige Antwort herausstellt: Schon jetzt ist sicher, dass diese Beobachtung ein Meilenstein für unser Verständnis der Planetenentstehung sein wird."

Hintergrundinformationen

Die hier beschriebenen Informationen sind als S. M. Andrews et al. "Ringed substructure and a gap at 1 AU in the nearest protoplanetary disk" zur Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal Letters akzeptiert.

Die beteiligten Wissenschaftler sind Sean M. Andrews (Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, Cambridge, Massachusetts, [CFA]), David J. Wilner (CfA) , Zhaohuan Zhu (Princeton University, Princeton, New Jersey, USA), Tilman Birnstiel (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), John M. Carpenter (Joint ALMA Observatory, Santiago, Chile), Laura M. Peréz (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn), Xue-Ning Bai, Karin I. Öberg (beide CfA), A. Meredith Hughes (Wesleyan University, Van Vleck Observatory, Middletown, USA), Andrea Isella (Rice University, Houston, Texas, USA) und Luca Ricci (Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, Cambridge, Massachusetts, USA).

Downloadbereich

Bildnachweis für jedes der Bilder: S. Andrews (Harvard-Smithsonian CfA), ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)

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