Annalisa Pillepich erhält ERC Consolidator Grant für kosmologische Simulationen
 

31. Januar 2023

Annalisa Pillepich, Gruppenleiterin in der Abteilung "Galaxien und Kosmologie" am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA), hat eines der prestigeträchtigen ERC Consolidator Grants erhalten. Die mit insgesamt 2 Millionen Euro dotierte Förderung wird Pillepich in den kommenden fünf Jahren zur Finanzierung von vier Postdoc-Stellen und zwei Doktorand*innenstellen am MPIA verwenden. In einem Projekt mit dem Namen COSMIC-KEY werden Pillepich und ihre Kollegen die nächste Generation von Simulationen des Universums als Ganzes entwickeln – ein Schlüssel zum Verständnis der Beobachtungsdaten, die in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen werden.
 

Unser Verständnis der Geschichte unseres Universums basiert auf Modellen eines expandierenden Kosmos. Diese kosmologischen Modelle sind auf der Basis von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie formuliert und beschreiben die Geschichte unseres Universums anhand vergleichsweise weniger Parameter. Zu diesen Parametern gehören die mittlere Materiedichte in unserem Kosmos und die mittlere Dichte der so genannten dunklen Energie, welche die kosmische Expansion beschleunigen lässt. Ein weiterer Parameter misst, wie schnell das anfangs nahezu perfekt homogene Universum seine ersten Unregelmäßigkeiten entwickelt hat.

Die Bestimmung der zugehörigen Parameterwerte ist eine der wichtigsten Aufgaben der modernen Kosmologie. Bei weitem keine einfache Aufgabe, denn die Parameterwerte lassen sich nur indirekt aus systematischen Beobachtungen ferner Himmelsobjekte ableiten. Bislang stößt die erreichbare Genauigkeit dabei aufgrund "statistischer Fehler" an ihre Grenzen – die Tatsache, dass es noch nicht gelungen ist, im Rahmen solcher Untersuchungen ausreichend viele Himmelsobjekte für eine hinreichend genaue statistische Auswertung zu beobachten. Aber mit Missionen wie dem Röntgenobservatorium eROSITA und dem kommenden Weltraumteleskop Euclid wird sich das ändern: In naher Zukunft wird die Hauptquelle der Unsicherheit stattdessen darin liegen, dass wir nicht genug über die Beziehung zwischen den fundamentalen Parametern und den Beobachtungsdaten wissen.

An dieser Stelle spielen kosmologische Simulationen eine Schlüsselrolle. Solche Simulationen verfolgen die kosmische Geschichte von virtuellen Modelluniversen im Computer. Bei der Programmierung solcher Simulationen geht unser Verständnis dessen ein, was bei der Entwicklung des Universums vor sich geht. Dazu gehören insbesondere physikalischen Gesetze, nach denen die dunkle Materie unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft verklumpt und Hohlräume, Filamente sowie zahlreiche Halos bildet, die Gesetze, nach denen Gas fließt, sich erwärmt oder abkühlt, und – eine Ebene höher – die Bedingungen, unter denen Sterne entstehen, Licht aussenden und als Supernovae explodieren, sowie Modelle für die Art und Weise, wie sich die zentralen schwarzen Löcher in Galaxien bilden und Strahlung, Energie oder Impuls an das umgebende Gas abgeben.

Sobald die Milliarden Jahre lange Geschichte eines solchen Modells simuliert wurde, können wir herausfinden, was ein*e Beobachter*in in einem solchen Universum sehen würde. Auf diese Weise können wir herausfinden wie der Anblick, der sich dabei bietet, von den Werten der verschiedenen kosmologischen Parameter abhängt. Der Vergleich zwischen solchen virtuellen Beobachtungen für verschiedene kosmologische Parameterwerte einerseits und den tatsächlichen Beobachtungsdaten andererseits erlaubt dann seinerseits Rückschlüsse auf die Werte, die jene kosmologischen Parameter in unserem eigenen Universum haben.

In der Kette, die Beobachtungsdaten, Simulationen und unser physikalisches Verständnis der inneren Funktionsweise des Universums als Ganzes miteinander verbindet, waren die verfügbaren Beobachtungsdaten bisher jeweils das "schwächste Glied". In naher Zukunft wird sich diese Rolle auf die theoretischen Modelle, insbesondere auf numerische Simulationen, verlagern. Annalisa Pillepich sagt: "Wir messen kosmologische Parameter, indem wir Beobachtungen mit theoretischen Vorhersagen vergleichen. Die Genauigkeit der kosmologischen Schlussfolgerungen ist daher immer nur so gut wie die Modellvorhersagen, die zur Anpassung an die Daten verwendet werden!" Diese Verbindung zu stärken ist das Ziel des COSMIC-KEY-Projekts, für das Pillepich jetzt ein ERC-Grant erhalten hat.

Pillepich ist für diese anspruchsvolle Aufgabe so gut geeignet wie nur wenige andere. Nach ihrem Physikstudium an der Universität von Pisa promovierte sie in Kosmologie an der ETH Zürich. Nach Postdoc-Stellen an der University of California in Santa Cruz und an der Harvard University kam sie 2016 als unabhängige Forschungsgruppenleiterin ans MPIA. Kürzlich stieg sie zur ständigen Forschungsgruppenleiterin auf und ist seither Mitarbeiterin in der Abteilung Galaxien und Kosmologie des MPIA. Im Laufe ihrer Karriere als numerische Astrophysikerin und Kosmologin hat sie an der Entwicklung und Analyse von Supercomputersimulationen von Galaxien mitgearbeitet, die große, repräsentative Ausschnitte von virtuellen Universen simulieren. Sie ist eine der Hauptentwicklerinnen der IllustrisTNG-Simulationen (https://www.tng-project.org/), dem umfassendsten und detailliertesten repräsentativen "Modelluniversum", das derzeit verfügbar ist.

Ziel von COSMIC-KEY ist es, noch deutlich realistischere Simulationen der Galaxienentstehung und ihrer Folgen für die kosmische Entwicklung und die kosmischen Strukturen zu erstellen als bisher. Dazu muss der Einfluss der zentralen Schwarzen Löcher nicht nur auf die Sternentstehungsrate in den Galaxien, sondern vor allem auch auf die Eigenschaften des Gases, das die Galaxien umgibt und die Halos der Dunklen Materie durchdringt, berücksichtigt werden. Die betreffenden Modelle beruhen auf physikalischen Grundlagen, insbesondere den Gleichungen der Hydrodynamik. Mit ihnen stößt allerdings auch die Rechenkapazität rasch an ihre Grenzen – der neue Realismus erfordert daher parallel die Entwicklung neuartiger und effizienterer Verfahren zur Durchführung der zugrunde liegenden Berechnungen und zur Umsetzung der Physik der Galaxienbildung in numerische Codes. Der Vergleich von Modellversionen mit unterschiedlichen kosmologischen Parameterwerten mit den verfügbaren Beobachtungsdaten wird sich bei COSMIC-KEY auf die Informationen aus der Messung der Röntgen- und Sunyaev-Zel'dovich-Signaturen massereicher Galaxiengruppen und -haufen konzentrieren, also auf Informationen, wie sie eROSITA und andere Observatorien liefern können.

Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) wurde 2007 von der Europäischen Union ins Leben gerufen. Er fördert themenoffen exzellente Wissenschaftler*innen und ihre Teams mit bahnbrechenden Forschungsprojekten in verschiedenen Förderlinien für die jeweils passende Karrierestufe. Consolidator Grants fördern Wissenschaftler*innen im mittleren Karrierestadium, zwischen 7 und 12 Jahren nach Abschluss der Doktorarbeit. Pillepichs Consolidator Grant beträgt 2 Millionen Euro. Damit werden in den kommenden fünf Jahren am vier Postdoc-Stellen und zwei Stellen für Doktoranden finanziert.

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