Ein erster Blick auf den Staubring um ein gigantisches Schwarzes Loch

Erster Nachweis einer extragalaktischen Quelle mit Infrarot Interferometrie

27. Juni 2003

Zusammenfassung
Die Kerne Aktiver Galaxien (Active Galactic Nuclei, AGN) stellen eines der energiereichsten und rätselhaftesten Phänomene im Kosmos dar. Einige der bekannten AGN setzen zehn- bis hundertfach höhere Energiemengen um, als ganze (normale) Galaxien wie unser Milchstraßensystem.

Die enorme Aktivität der AGN wird durch ein massereiches Schwarzes Loch ausgelöst, das in ihrem Zentrum sitzt. Aufgrund verschiedener Indizien wird vermutet, dass diese massereichen Schwarzen Löcher von einer dicken, ringförmigen Struktur (einem so genannten »Torus«) aus Gas und Staub umgeben sind. Allerdings ist das Auflösungsvermögen auch der größten heute verfügbaren Teleskope (mit Öffnungen von bis zu 10 Metern) nicht ausreichend, um diese Tori direkt abzubilden.

Das in den letzten Jahren in Betrieb gegangene VLT-Interferometer [1], in dem das Licht von mindestens zweien der vier 8-Meter-Teleskope der ESO zusammengeführt wird, um noch besonders feine Struktren nachweisen zu können, sollte aber solche Beobachtungen ermöglichen. Mit Hilfe des kürzlich fertiggestellten Instrumentes MIDI [2] ist es nun einer Gruppe europäischer Astronomen [3] erstmals gelungen, in einem der uns am nächsten gelegenen Aktiven Galaktischen Kerne, dem der eben für ihre Aktivität berühmten Galaxie NGC 1068, Strukturen im Bereich des Staubtorus nachzuweisen. Diese Strukturen haben eine Größe von etwa 0.03 Bogensekunden, was am Ort der Galaxie einer Strecke von etwa zehn Lichtjahren entspricht. (In der Entfernung des Mondes entspräche diese Winkelgröße einer Strecke von 50 Metern.)

Dieses bahnbrechende Ergebnis zeigt, dass Interferometrie am VLT, mit modernen Instrumenten wie MIDI durchgeführt, auch für das Studium von Objekten außerhalb unserer eigenen Galaxis ein wertvolles neues Verfahren darstellt.

Kosmisches Kraftwerk
Aktive Galaxien zählen zu den spektakulärsten Objekten am Himmel. Ihre kompakten Kerne sind so leuchtkräftig, dass sie eine ganze Galaxie überstrahlen können. Ihre Eigenschaften lassen sich in allen Wellenlängenbereichen studieren, von der Radiostrahlung über das infrarote und sichtbare Licht bis zur Röntgenstrahlung.

Es häufen sich mittlerweile die Hinweise, dass die enorme Energie, die in den Kernen umgesetzt wird, letztlich von einem zentralen Schwarzen Loch erzeugt wird, dessen Masse bis zum Milliardenfachen der Masse unserer Sonne betragen kann. (vgl. ESO PR 04/01). Das Schwarze Loch wird über eine Akkretionsscheibe gefüttert, die es eng umschließt. Das Material in dieser Scheibe steht unter hohem Druck und wird auf extrem hohe Temperaturen aufgeheizt. Die Strahlung dieses heißen Gases liefert die enorme Leuchtkraft der Kerne Aktiver Galaxien.

Ein geheimnisvoller Torus aus Gas und Staub umgibt das Schwarze Loch
Nach heutiger Auffassung ist das zentrale Schwarze Loch mit seiner Akkretionsscheibe von einem dichten torusförmigen Gebilde aus Gas und Staub umgeben. Die gesamte Struktur ist nur einige zehn Lichtjahre groß – in der Entfernung der nächsten aktiven Galaxien entspricht diese Strecke einem Winkeldurchmesser von weniger als 0.05 Bogensekunden. So groß erscheint eine Münze in 40 Kilometer Entfernung – nicht einmal die Bildschärfe der neuen Großteleskope der 10-Meter-Klasse ist ausreichend, um so kleine Strukturen aufzulösen.

Unsere Modellvorstellungen von dieser Struktur beruhen bisher auf indirekten Hinweisen und sind entsprechend vage. Die torusförmigen Staubverteilungen können sehr dicht und kompakt sein, oder auch sehr ausgedehnt und von geringer Dichte. Um das zu entscheiden sind direkte Bilder solcher Tori erforderlich.



Ein schärferer Blick im richtigen Wellenlängenbereich
Hier kommt die Interferometrie mit großen Teleskopen zum Einsatz. Mit dieser Technik erreicht man durch die Kombination der Strahlengänge von zwei oder mehreren Teleskopen eine Bildschärfe, die der Bildschärfe eines Teleskops mit einer Öffnung entspricht, die dem Abstand zwischen den Einzelteleskopen gleicht. Mit dem kürzlich in Betrieb genommenen »Very Large Telescope Interferometer« (VLTI) der ESO [1] auf dem Cerro Paranal in Chile ist erstmals ein solcher Zusammenschluss von Großteleskopen möglich geworden. Vor wenigen Monaten wurde das erste leistungsfähige Zusatzgerät am VLTI in Betrieb genommen, die unter Leitung des Heidelberger MPI für Astronomie gebaute Kamera MIDI [2] zur interferometrischen Kombination der Lichtstrahlen von zwei Großteleskopen bei Wellenlängen um 10 Mikrometer, im sogenannten mittleren oder thermischen Infrarot. In MIDI werden die Strahlengänge von zwei bis zu 200 Metern voneinander entfernten 8.2-Meter-Teleskopen zusammengeführt. Das damit erreichte Aufösungsvermögen beträgt etwa 0.01 Bogensekunden.

Lichtstärke und Auflösungsvermögen dieser Anordnung sind damit erstmals ausreichend, um die Struktur der Kerne Aktiver Galaxien weit außerhalb unseres eigenen Milchstraßensystems direkt zu untersuchen. Die hohe Empfindlichkeit im thermischen Infrarot eignet sich bestens zur Untersuchung des staubigen Torus, der von der Strahlung der Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch auf wenige Hundert Grad Kelvin (etwa Zimmertemperatur) erwärmt wird und die absorbierte Energie im Bereich zwischen 5 und 200 Mikrometer Wellenlänge wieder abstrahlt. Damit eröffnet MIDI der Forschung ein völlig neues, bisher unberührtes Feld.

Die ersten Beobachtungen nach Inbetriebnahme des Instruments fanden in den Nächten vom 11. – 16. Juni statt, unter anderem mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit des Instruments und dieser Beobachtungstechnik zu demonstrieren. Das Team der beteiligten europäischen Astronomen [3] richtete sein Augenmerk dabei im besonderen auf ein nicht einfach zu beobachtendes Objekt, die 60 Millionen Lichtjahre entfernte Aktive Galaxie NGC 1068.

NGC 1068: ein Prototyp der Aktiven Galaktischen Kerne
NGC 1068, auch als Messier 77 bekannt, gehört zu den hellsten und nächsten Aktiven Galaxien. Sie befindet sich im Sternbild Walfisch in einer Entfernung von etwa 60 Millionen Lichtjahren. Sie ist eine der Größten in Messiers Katalog, ihre Spiralstruktur wurde als eine der ersten erkannt. Ihr Kern ist extrem hell, nicht nur im sichtbaren Licht, sondern auch im UV und im Röntgenlicht. Ein Schwarzes Loch mit einer Masse von etwa hundert Millionen Sonnenmassen ist erforderlich, um die hohe Aktivität und die starke Strahlung im Kernbereich zu erklären.



Interferenzmuster: Der Torus in NGC 1068 wird aufgelöst
Für die interferometrischen Beobachtungen an NGC 1068 wurden die beiden 8.2-Meter-Teleskope Antu und Melipal verwendet, deren Abstand 102 Meter beträgt. Aufgrund der Projektionseffekte betrug die effektive Basislänge bei den Beobachtungen 79 Meter. Das gesuchte Interferenzmuster wurde in der Tat nachgewiesen (Abb. 3). Solche Interferenzmuster entstehen, wenn die Lichtwege in den Strahlengängen der beiden Telsekope phasengerecht zusammengeführt werden. Wenn die beobachtete Lichtquelle punktförmig ist, weist das Interferenzmuster den höchstmöglichen Kontrast (100 %) zwischen den Minima und Maxima auf: Die Quelle ist unaufgelöst. Im Fall von NGC 1068 beträgt der Kontrast nur 10 %. Eine vollständige Interpretation dieses Ergebnisses wird erst auf der Grundlage weiterer Messungen bei unterschiedlichen Basislinien möglich sein. Diese Messungen sind für den kommenden Herbst geplant, wenn die Stellung der Galaxie am nächtlichen Himmel auch viel günstiger sein wird als bei den ersten Messungen im Juni.

Aber schon dieses erste Ergebnis ist überzeugend: Die Messungen wurden unabhängig in zwei Nächten bei exzellenten Wetterbedingungen durchgeführt. Sie zeigen in konsistenter Weise, dass im Staubtorus von NGC 1068 ausgedehnte Strukturen von 0.03 Bogensekunden oder kleiner vorhanden sind, entsprechend etwa 10 Lichtjahren am Ort der Galaxie. Die Größe dieser Struktur im Vergleich zur Galaxie ist in Abb. 2 gezeigt.



Ein Durchbruch in der Interferometrie
Die beschriebene Messung stellt die erste jemals durchgeführte interferometrische Beobachtung eines extragalaktischen Objektes im thermischen Infrarot dar. Dieser Erfolg eröffnet den Zugang zu einem völlig neuen astronomiscen Forschungsgebiet: der Untersuchung der räumlichen Verteilung von Gas und Staub in der Umgebung der gigantischen Schwarzen Löcher in fernen Galaxien. MIDI und das VLTI werden in den kommenden Jahren für Astronomen aus aller Welt das beste Instrumentarium zu diesen Untersuchungen bieten.


Anmerkungen:
[1] Weitere Information über das VLTI und Bilder von vielen der Komponenten dieser komplexen Messanordnung gibt es in der VLTI Website und in den ESO-Pressemitteilungen ESO PR 06/01 (»First Light« im März 2001, mit Erklärung des Messprinzips der Interferometrie), ESO PR 23/01 (Beobachtungen mit zwei 8.2-Meter-Teleskopen im Oktober 2001), ESO PR 16/02 (Beobachtungen mit vier 8.2-m-Telescopen im September 2002) und ESO PR 11/03 (Inbetriebnahme der ersten Einheit für Adaptive Optik MACAO im May 2003) und ESO PR 17/03.

[2] MIDI wurde seit 1997 am Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg unter der Leitung von Ch. Leinert und U. Graser in Zusammenarbeit mit mehreren niederländischen, deutschen und französischen Instituten entwickelt. Zur Inbetriebnahme von MIDI siehe die Pressemitteilung Interferometrie mit MIDI an den VLT-Teleskopen der ESO PR 02-12-19 des Max-Planck-Instituts für Astronomie

[3] Die beschriebenen Beobachtungen wurden geplant und durchgeführt von einer internationalen Forschergruppe, bestehend aus: Ch. Leinert, R. Köhler, K. Meisenheimer (MPI für Astronomie, Heidelberg), A. Richichi, M. Schöller, S. Morel, F. Paresce (ESO), H. Roettgering, W. Jaffe (Leiden), R. Waters (Amsterdam) und F. Malbet (Grenoble).

[Zurück nach oben]

Zur Redakteursansicht